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(Anti-)Repression Antifaschismus

Gleicher Fall, anderes Urteil

Gegendemonstranten wundern sich über Staatsanwaltschaft
Vor Gericht und auf hoher See sind wir alle in Gottes Hand. Diese alte Weisheit wird derzeit bei den Widerspruchsverfahren zu den Vorfällen am 11. Januar am Oberbarmer Bahnhof unter Beweis gestellt. Dort waren 69 Gegendemonstranten, die einen Nazi-Aufmarsch verhindern wollten, in mehrstündigen polizeilichen Gewahrsam genommen und von der Wuppertaler Staatsanwaltschaft wegen Verstoßes gegen Paragraph 21 des Versammlungsgesetzes zur Zahlung eines Bußgeldes verdonnert worden (die Rundschau berichtete). Alle Betroffenen legten Widerspruch ein. Mit unterschiedlichen Konsequenzen: Im ersten und weiteren Widerspruchsverfahren erhöhte das Amtsgericht das zu zahlende Bußgeld. Mit der Folge, dass nicht wenige ihren Widerspruch zurückzogen und zahlten.
Ganz anders verlief demgegenüber ein Prozess in gleicher Angelegenheit in Hagen: Dort wurde das Verfahren gegen eine Studentin wegen Geringfügigkeit eingestellt mit dem Hinweis, auch weitere Verfahren in der gleichen Angelegenheit einzustellen. In einem vergleichbaren Fall in Düsseldorf basierten die Entscheidungen darauf, dass die von der Staatsanwaltschaft gelieferte Beweislage nicht ausreiche.
Ein weiteres Verfahren befindet sich in der Schwebe: Im Fall der Wuppertaler Studentin N. W. vertagte der Richter den Prozess, da ihm die Beweisdecke der Staatsanwaltschaft ebenfalls zu dünn war. Eine Stellungnahme ihres Anwalts im Vorfeld zur Folgeverhandlung, die für den xxxx anberaumt ist, lässt sich erkennen warum: „Grobe Störungen“ (so die Anschuldigung der Staatsanwaltschaft) seien solche Einwirkungen auf den ordnungsgemäßen Ablauf einer Versammlung, die als besonders schwere Beeinträchtigung des Veranstaltungsrechts empfunden werden wie ständiges unbegründetes Applaudieren, Werfen von Stink- oder Rauchbomben oder lautstarkes Spielen von Radiogeräten. Im vorliegenden Fall hatte die Versammlung der Neonazis noch nicht begonnen, sie sollte auch nicht auf dem Bahnhof statt finden. Die Spontandemonstration auf dem Bahnhof sein daher gar nicht in der Lage, den Tatbestand der „groben Störung“ zu erfüllen.
N.W.: „Unsere Gegendemonstration ist friedlich verlaufen. Mit der Anwendung von Paragraph 21 auf unsere Versammlung wird versucht, jeglichen antifaschistischen Widerstand bereits im Vorfeld zu ersticken. Denn wenn der Protest zur Straftat umdefiniert wird, ist bereits die Vorbereitung des Protestes gegen fremdenfeindliche Gruppierungen wie die Neo-Nazis ein Aufruf zur Straftat.“ Aktiv gegen das braune Gedankengut und dessen Agitatoren anzugehen ist für N.W. aber ein demokratisches Grundrecht, das sie durch die bisher ergangenen Urteile des Amtsgerichtes in Frage gestellt sieht.
wuppertaler rundschau, Juni 2003