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Oaxaca: Warten auf die große Schlacht

Die Situation in Oaxaca ist angespannt bis aufs Äußerste und das Volk ist bereit, die mehr als 1500 Barrikaden gegen jede Aggression zu verteidigen. Dabei stehen ihnen als Bewaffnung Steinschleudern, Holzstöcke und Steine zur Verfügung. Und es sind, ein weiteres Mal, vor allem Frauen die mit aller Entschlossenheit hinter den Barrikaden stehen und entschlossen sind, Nnotfalls ihr Leben zu riskieren. Die Männer folgen ihrem Beispiel.
Ulises Ruiz Ortiz plante diese „Endoffensive“ während der ganzen letzten Wochen in seinem Exil in Mexiko-City. Zuerst befahl er den lokalen Parlamentsabgeordneten, ein Dokument zu verabschieden, wo die Intervention der Bundespolizei verlangt wurde. Dabei sind die Abgeordneten nicht davor zurückgeschreckt, die Unterschrift des Fraktionschefs der Partei Convergencia zu fälschen und so vorzutäuschen, dass alle Parteien mit einer Intervention der Bundespolizei einverstanden sind. Als zweiten Schritt versuchte Ulises, die Munizipien dazu zu bewegen, ihn zu unterstützen und musste feststellen, dass er nicht einmal in der Hälfte aller Munizipien Unterstützung findet.
PAN und PRI, mit dem Präsidenten Fox und Esther Gordillo als Hintergrundfiguren, vereinbarten, die wahnwitzige Idee von Ulises zu unterstützen, dass dieser in Oaxaca wieder Ruhe, Ordnung und Regierungsfähigkeit herstellen könne; nötigenfalls mit Hilfe der Bundespolizei. Vor allem sollten die Schulen wieder eröffnen werden und so befahl Ulises, dass die Schulen diesen Montag wieder öffnen, mit pensionierten Lehrern, Hausfrauen und Soldaten. Dies sollte durch eine ganze Serie von Propagandaaktionen und von den nationalen Medien und einem zweitägigen Streik der Unternehmer unterstützt werden.
Zum Auftakt dieser Offensive sollte der Gouverneur, im Beisein der Medien, an verschiedenen Orten in Oaxaca auftauchen, und damit zeigen, dass er sich frei bewegen kann. Doch schon beim ersten Versuch wurde er beinahe von der APPO verhaftet und musste flüchten. Zwei Stunden später wurden zwei seiner Regierungsvertreter im Luxushotel Camino Real im Stadtzentrum aufgespürt, als diese ein Presseinterview geben wollten. Diese mussten von ihren Bodyguards freigeschossen werden und durch einen Hinterausgang flüchten. In beiden Vorfällen verwendeten die Begleiter von Ulises auch getarnte Autos, die mit APPO angeschrieben waren.
Bei der Schiesserei vor dem erwähnten Luxushotel wurde beinahe der uliseskritische Senatsabgeordnete und Unternehmer Lopez Lena angeschossen, der sich zufälligerweise mit einem weiteren Senatskollegen am Ort des Geschehens befand. Der Medienunternehmer Lopez Lena ist eine erklärte Zielscheibe der Ulises Regierung, wegen der kritischen Berichterstattung in dessen Medien und wegen seiner Insistenz, dass sowohl der frühere Gouverneur Murat, wie auch Ulises, für ihre Veruntreuungsdelikte vor Gericht gestellt werden sollen. Für Ulises Grund genug diesen Mann aus dem Weg zu schaffen und darum bezweifeln viele, dass die Schüsse auf Lopez Lena kein Zufall waren.
Vorgestern Nacht wurde dann der Radiostationen von Lopez Lena angegriffen und teilweise abgebrannt. Dabei wurden, wie immer in solchen Fällen, APPO-Parolen an die Außenwände gesprayt um diese für den Anschlag verantwortlich zu machen. Diese Verwirrungstaktik funktioniert aber immer weniger und nur noch einige wenige fallen darauf herein. Am Montag kam der nächste Misserfolg: Weniger als 5% der Schulen konnten zeitweise geöffnet werden. Während der ganzen Woche wurden gezielt und massiv Gerüchte gestreut, über eine vermeintliche Spaltung der Lehrergewerkschaft, über ein Zerbröckeln des Widerstands, über Räumungen der Barrikaden, über Einheiten der Bundespolizei, die auf dem Weg nach Oaxaca seien und selbstverständlich wie immer über Überfälle, die von APPO-Mitgliedern verübt würden.
All dies führte aber nur zum Ergebnis, dass die Barrikaden der APPO und deren Organisationsgrad massiv verstärkt wurde und es wird für die Bundespolizei ein riskantes Spiel werden, wenn sie versuchen sollte, die Bewegung anzugreifen. Gemäss Informationen, die von einem PAN-Abgeordneten in Mexiko zugespielt wurden, war geplant, während des Unternehmerstreiks mit Schlägerbanden, lokalen Polizeieinheiten und mit der PRI-Organisation CROC an verschiedenen Punkten die Barrikaden anzugreifen und Verwirrung und Panik zu schaffen. Gemäss den zugespielten Informationen wird sogar damit spekuliert, dass einige tote Polizisten ein geeigneter Vorwand für eine Intervention der Bundespolizei wären. Gestern am frühen Nachmittag haben darum einige Polizeieinheiten den Dienst quittiert (per Telefonanruf an das Radio APPO).
Es ist aber durchaus möglich, dass die zugespielten Informationen Teil des Verwirrspiels sind und die Bewegung ablenken soll. Allgemein wird aber die Echtheit dieser Informationen nicht angezweifelt. Dies insbesondere darum, weil es in der letzten Nacht tatsächlich einige Angriffe auf die Barrikaden im Stadtzentrum gegeben hat, wie immer mit Schusswaffen. Die Bevölkerung hat darauf aber schnell, diszipliniert und sehr entschlossen reagiert und hat sofort alle Zu- und Ausfahrten der Stadt blockiert, was die Angriffe im Keim erstickt hat. Für diese Nacht (auf Samstag) wird erwartet, dass ein Großangriff stattfindet. Die APPO hat aufgerufen, die Barrikaden, die schon sehr groß und widerstandsfähig sind, noch weiter zu verstärken und sich noch besser zu organisieren. Über die Radios wird dauernd über verdächtige Bewegungen informiert. Bei den Angriffen der letzten Nacht hat es sich gezeigt, dass tatsächlich Tausende sofort auf die Strasse eilen, wenn über die Radios alarmiert wird.
Wie schon einleitend erwähnt, das Volk ist entschlossen sich zu verteidigen. Das grosse Problem für Ulises ist, dass die Basis seines Angriffsplans bisher nicht funktioniert hat: Der Unternehmerstreik ist ein großer Misserfolg. Gemäss APPO sind nur gerade 5% der Geschäfte geschlossen, während die Unternehmer von 40% sprechen. In einem persönlichen Augenschein an verschiedenen Orten der Stadt bekamen wir heute den Eindruck, dass es weniger als 5% sind. Alle Märkte, Banken und Einkaufszentren und der allergrößte Anteil Läden sind geöffnet. Viele Geschäfte haben ganz einfach eine Türe geschlossen während eine andere geöffnet ist. Einzig die Tankstellen haben alle geschlossen, was nicht überrascht, weil diese im Besitz von PRI-Mitgliedern sind und viele ihre Konzession über Korruption von Ulises erhalten haben.
Was alle überrascht, ist, dass auch der Taxibetrieb normal funktioniert, normalerweise eine Bastion der PRI. Der Unternehmerstreik war als Signal an die Bundesregierung gedacht, Bundespolizei zu entsenden und dieses Signal ist schon im Keim erstickt. Dies ist eine weitere Niederlage für Ulises und wird es Fox erschweren mit Repression in Oaxaca den „Normalzustand“ herzustellen.
Während all diesen Geschehnissen lancierte gestern der lokale Kongress eine weitere Provokation. In einer Blitzaktion wurde ein neues Wahlgesetz verabschiedet und in diesem Zusammenhang die lokalen Wahlen des nächsten Jahres abgesagt.
Währendessen marschieren nach wie vor mehr als 6000 Leute der APPO zu Fuss in Richtung Mexiko City (450 km), um sich da vor dem Senat niederzulassen und die Absetzung von Ulises zu fordern. Diese „Demonstration der Würde“ ist ein grosser Erfolg. Überall, wo die APPO vorbeikommt, wird sie unter großem Applaus empfangen. Momentan durchquert die Demonstration den Bundesstaat Puebla, wo ein Freund von Ulises regiert, der Päderast Marin, welcher wegen sexuellem Missbrauch an Kindern extrem unter Beschuss ist. Gouverneur Marin warnte die Bevölkerung und forderte diese auf, der APPO jegliche Unterstützung zu versagen. Als Zeichen des Gehorsams empfing diese die APPO mit aller Herzlichkeit und verpflegte die DemoteilnehmerInnen mit Spezialitäten aus Puebla. Sie waren auch sehr verwundert darüber, dass, ganz im Gegensatz zu den Meldungen in den Medien, die APPO Leute keine Mörder, Banditen und Gewaltverbrecher sind, sondern ganz normale Leute aus dem Volk.
Oaxaca – die langen Nächte kehren zurück
29. September
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Oaxaca befindet sich weiterhin auf Alarmstufe Rot. Viele Gerüchte über die Verlegung von Polizei- und Militärkräften in die Region und die Zusammenrottung von Schlägertruppen und Paramilitärs aus dem Dunstkreis der PRI bestehen und machen ein zunehmend bedrohliches Klima gegen die Aktivitäten der Volksbewegung APPO aus. So wurde gestern eine Brigade der APPO bei der friedlichen und symbolischen Schliessung einer von der PRI kontrollierten staatlichen Institution plötzlich aus zwei Lieferwagen heraus von Zivilpersonen beschossen. Verletzt wurde offenbar niemand, aber es ist nur einer der Vorfälle in diesen Tagen. Es gab auch Versuche von PRI-Provokateuren Läden zu plündern und diese Aktionen dann der APPO in die Schuhe zu schieben. Die Sicherheitskommission der APPO ruft daher auch auf sehr wachsam zu bleiben, sofort zu informieren wenn Übergriffe und Provokationen von Seite der PRI Anhänger stattfinden.
Der Streik der Unternehmer floppt
Der Streikaufruf der Unternehmer und Händler – welcher vom rechten Unternehmerverband für den Donnerstag 28.9. und heute Freitag ausgerufen wurde, um gegen die rechtlose Situation in Oaxaca zu protestieren – war bisher ein totaler Reinfall. Laut offiziellen rechten Medien hatten kaum 20% der Läden usw. geschlossen – laut Angaben der APPO lediglich 5%. So oder so zeigt dies den grossen Einfluss der Volksbewegung.
Auch der Versuch der PRI-Leute, in ganz Oaxaca auf eigene Faust die Schulen wieder aufzumachen, um sich gegen die „Radikalen“ der LehrerInnengewerkschaft zu stellen, war mehr als ein Misserfolg. Knapp 50 Schulen wurden zum Unterricht geöffnet, was nicht mal 0.5% der 14’000 Schulen in Oaxaca ausmacht.
Vollversammlung der Lehrergewerkschaft: der Streik geht weiter
In dieser sehr angespannten Situation hat die Vollversammlung der LehrerInnengewerkschaft am Mittwoch 27.9. 06 beschlossen, den Kampf geschlossen weiterzuführen. Die 1500 Delegierten haben die Resultate der Befragung der Basis zusammengetragen und halten auch nach 129 Tagen Streik klar fest, dass „sie erst nach dem Sturz des Tyrannen, dem Gouverneur Ulizes Ruiz Ortiz den Streik abbrechen und in die 14’000 Schulen zurückkehren werden“.
Die Vollversammlung der LehrerInnengewerkschaft besteht auch mit Nachdruck auf der Tatsache, dass sie sich nicht abspalten lassen werden von der APPO (den über 350 Volks- und Basisorganisationen), sondern integraler Teil von ihr sind. Es wird kein Extra-Züglein geben, indem die mexikanische Regierung die LehrerInnengewerkschaft mit Verbesserungen des Schulsystem, der Löhne usw. abspeisen will. Die ganzen Forderungen bleiben bestehen, aber sind nur im Zusammenhang mit der Absetzung von Ruiz und politischen Reformen in Oaxaca verhandelbar.
Der Fussmarsch in die Hauptstadt
Der Marsch der LehrerInnengewerkschaft und der APPO zur Hauptstadt, an dem über 5.000 Personen teilnehmen und der überall immer wieder halt macht und die Situation in Oaxaca vermittelt und sich mit den Leuten vor Ort austauscht, wird auch erst dann gestoppt, wenn die Nachricht der Absetzung von Ruiz eintrifft. Ansonsten wird die „Marcha“, die gerade nach einem Tagesmarsch von 25 Kilometern im Bundesstaat Puebla angekommen ist, am nächsten Dienstag dem 3. Oktober im Distito Federal – der Hauptstadt – ankommen und ihren Forderungen so im Zentrum der Macht Nachdruck verleihen.
Gerüchte über Verhandlungen und bevorstehende Militarisierung
An der Pressekonferenz von gestern Donnerstag haben die LehrerInnen auch klar festgehalten, dass sie gegen jegliche Militarisierung in Oaxaca sind und fordern die mexikanische Regierung auf, das Militär wieder in die Kasernen zurückzuschicken oder dort zu behalten und keine weiteren Truppen nach Oaxaca zu verlegen. Ebenso negiert die Gewerkschaft, dass es irgendwelche Verhandlungen zwischen ihnen und Ruiz gegeben hätte – das als Antwort auf eine der vielen gezielten Falschmeldungen, die bewusst gestreut werden, um die APPO zu verunsichern, verschiedene Kräfte zu spalten.
Von Regierungsseite her wird der nächste Mittwoch 4. Oktober als Schlüsseltag erklärt, wenn eine Verhandlungsrunde mit VertreterInnen von allen politischen Parteien, der LehrerInnengewerkschaft, der APPO, der Kirche und Persönlichkeiten wie Toledo stattfinden soll. Dabei soll es nach dem Willen der Regierung zu Übereinkünften über eine Staatsreform kommen. Die Ideen bewegen sich im Rahmen von einer Umgestaltung des Schulsystems, besseren Löhnen usw. bis auch zu allgemeinen rechtlichen Neugestaltungen für den Bundesstaat Oaxaca in Bezug auf Gewaltentrennung, Zuständigkeiten. Auch mögliche Formen der Volksbefragung zu gewählten Regierungen werden diskutiert – in wieweit was auch rückwirkend auf die heutige Situation anwendbar wäre ist noch nicht bekannt.
Auch soll eine bevorstehende Militarisierung nur zum Schutz der Wiederherstellung der „Ordnung“ dienen und explizit nicht um die Volksbewegung niederzuknüppeln. Den Leuten der APPO wird Straffreiheit zugesichert und die PFP habe explizit den Befehl erhalten keine Verhaftung der Kader der APPO vorzunehmen…
Ob es sich dabei bloss um eine plumpe Zeitschinderei handelt , um die APPO noch ein wenig hinzuhalten und parallel dazu die nächtlichen Übergriffe, Provokationen, Verunsicherungen immer mehr zu steigern, um schlussendlich die Bewegung aufzureiben oder sogar eine direkte polizeilich-militärische Intervention durchzuführen ist sehr schwer einzuschätzen. Dass sie der APPO Straffreiheit etc. zusichern ist im Moment auch nichts mehr als zwangsläufig, da die mexikanischen Regierung mit einer Volksbewegung verhandelt – der APPO – die immerhin die Regierbarkeit des Bundesstaates Oaxaca seit über 4 Monate verunmöglicht und eigene, volksnahe Strukturen und Kommunikations- Beteiligungsformen entwickelt hat.
Auf der Seite der APPO laufen auf verschiedensten Ebenen Diskussionen. Die Alarmstufe Rot bleibt. Die Sicherheitskommission der APPO hat heute Nacht ausdrücklich nochmals dazu aufgerufen, an den Barrikaden sehr wachsam zu sein. An verschiedenen Punkten wurden maskierte Gruppen beobachtet, die den Schlägertruppen der PRI zuzurechnen sind und die einzelne Punkte angreifen werden. Von der APPO Seite her werden insbesondere auch die Radiostationen speziell geschützt, da sie wohl die ersten Punkte sein werden, die der Bewegung entrissen werden sollen, damit die Kommunikation der Volksbewegung verhindert wird. Die Radios sind nach wie vor den ganzen Tag auf Sendung und es wird diskutiert, geweint, gehofft, vereint geträumt, gestritten. Ein sehr eindrückliches Szenario und echte Beteiligung, wie es sich viele überall auf der Welt wünschen würden.

Aktuell


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Veranstaltungshinweis:
Romper el cerco – Ein Film über die Ereignisse in Atenco / Mexiko 2006
wann: Mittwoch – 25.10.2006 – 20:00 Uhr
wo: Informationsbüro Nicaragua (Friedrich Ebert Straße 141b – Wuppertal)
San Salvador Atenco im Mai 2006, eine Stadt in der Nähe von Mexiko City. Zwei Monate vor den Präsidentschaftswahlen spitzt sich der Konflikt um Land und Rechte zwischen der zivilen Bevölkerung und der mexikanischen Regierung zu. Über mehrere Tage herrscht ein Ausnahmezustand: Märkte werden von der Polizei gestürmt, Zufahrtsstraßen von den Bevölkerung blockiert, es kommt immer wieder zu heftigen Zusammenstößen zwischen der empörten Bevölkerung und den Regierungstruppen, bei denen auch ein 14 jähriger Junge von einer Tränengasgranate getötet wird.
Dieser Film entlarvt die Strategie der Massenmedien, die die Anliegen der Bevölkerung ignoriert und eine Stimmung der Angst erzeugt, um einen massiven Polizeieinsatz zu rechtfertigen.
3.000 Einsatzkräfte dringen mit grausamer Brutalität in die Stadt ein. Das Ergebnis sind verwüstete Wohnungen, massive Verhaftungen, Vergewaltigungen und etliche Menschenrechtsverletzungen, die an die lateinamerikanischen Diktaturen der 70er Jahre erinnern und von Berlin bis Montreal denunziert werden.
„Romper el cerco“ erzählt die Geschichte derer, die an diesen Tagen in den Massenmedien nicht zu Wort kamen und sich im Kampf für ihre Rechte nicht einschüchtern lassen.
OmU 47 Min. Ein Film von Canal 6 de Julio und Promedios
Im Anschluss an den Film berichten Mitglieder der Gruppe B.A.S.T.A. über die aktuelle politische Situation in Mexiko.