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Antimilitarismus & Krieg

Militaristen (1) und ihre Strategien.

Nachdem die NATO sich auf ihrem Gipfeltreffen in den USA im April 1999 auf ein neues strategisches Konzept einigte, wird nun – zehn Jahre später und zum Anlass ihres 60jährigen Bestehens – auf dem diesjährigen NATO-Gipfel am 3./4. April 2009 in Strasbourg, Kehl und Baden-Baden eine weitere Anpassung ihrer strategischen Ausrichtung diskutiert.
In diesem Artikel möchten wir die Inhalte des von fünf ehemaligen NATO-Stabschefs erarbeiteten Strategiepapiers für eine neue NATO-Gesamtstrategie „Towards a Grand Strategy for an Uncertain World – Renewing Transatlantic Partnership“(2), das eine wesentliche Basis für die Inhalte des diesjährigen NATO-Gipfels darstellt, zusammengefasst und kommentiert darstellen.
In dem von fünf ehemaligen NATO-Stabschefs erarbeiteten Strategiepapier für eine neue NATO-Gesamtstrategie „Towards a Grand Strategy for an Uncertain World – Renewing Transatlantic Partnership“ (2), das eine wesentliche Basis für die Inhalte des diesjährigen NATO-Gipfels darstellt, wird erstaunlich offen dargelegt, wie die NATO zum effektiv und schnell intervenierenden Instrument der Sicherung hegemonialer Ansprüche der Mitgliedsstaaten ausgebaut werden soll. Die wesentlichen Inhalte des strategischen Konzepts von 1999 (Stärkung der Nordamerikanisch-Europäischen Kooperation, militärische Aufrüstung, Wandel vom militärischen Verteidigungsbündnis zum geostrategischen Kriegsbündnis durch die Öffnung für sogenannte präventive „Out-of-area“-Kriegseinsätze, also Interventionen ohne UNO-Mandat in Gebieten und Konflikten, in denen kein NATO-Mitgliedsstaat als unmittelbare Konfliktpartei involviert ist) werden in dem Strategiepapier aufgegriffen und konsequent zuende gedacht. Im Folgenden möchten wir die Inhalte des Strategiepapiers zusammengefasst und kommentiert darstellen:
Zunächst werden im ersten Kapitel „Trends and Challenges“ (S. 31ff) des Strategiepapiers die Herausforderungen und Probleme, die den westlichen „way of life“ (S. 42, 50, 92, …) (also Lebensstil und –standard sowie die westliche Ressourcenhegemonie) potentiell bedrohlich konfrontieren analysiert. Schon hier wird deutlich, dass die 1999 beschlossene strategische Neuausrichtung vom militärischen Verteidigungsbündnis zum (Angriffs-) kriegführenden Interventionsbündnis im Dienst der wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen der Mitgliedsstaaten völlig implementiert wurde und auch weiterhin programmatisches Element der NATO sein wird. Als Herausforderungen, auf die die „westliche Welt“ (S. 19) zu reagieren habe, wird – neben dem Klima- und demographischen Wandel – der Verlust von Souveränität der Staaten und eine durch „terroristische“ und damit unkalkulierbare „asymmetrische“ Gefahren gekennzeichnete weltweite Unsicherheit dargestellt. Explizit wird darauf hingewiesen, dass Konflikte in Zukunft auch zu einem weiten Teil über nicht-militärische Kriegsführung ausgetragen würden (genannt wird z.B. die Nutzung von Ressourcen als Druckmittel, wobei hier natürlich keine UNO-Sanktionen gemeint sind, sondern die Verweigerung von Ressourcen gegenüber den westlich-hegemonialen Staaten und damit eine Gefährdung des dortigen Lebensstils). Aus der Verschränkung der genannten „globalisierten Bedrohungen“ und ihrer schweren Vorhersagbarkeit ergibt sich dann im Folgenden die neue Strategie zur Sicherung der Privilegien der westlichen Industrienationen, die zum einen eine Zusammenführung ziviler und militärischer Mittel im Inneren und Äußeren und zum anderen alle Optionen politischen und militärischen Handelns (inklusive einer nuklearen Erstschlagsoption) umfassen soll, um die westliche „Eskalationsdominanz“ (S. 96 u.a.) zu sichern.
Im zweiten Kapitel „Present Capabilities“ (S. 69 ff) werden die Kapazitäten der bestehenden internationalen Institutionen und Akteure (UNO, EU, NATO, OSZE, …), auf die im ersten Kapitel postulierten neuen Bedrohungen zu reagieren, analysiert.
Beim Blick auf die gegenwärtigen Konflikte falle demzufolge auf, dass Institutionen wie die UN, OSZE, NATO und EU große Schwierigkeiten hätten, ihre Aktivitäten zielgerichtet zu koordinieren. Das Fehlen genau definierter politischer Ziele und eines einheitlichen strategischen Konzepts, dem sich die genannten Institutionen unterordneten, mündet, den Autoren zufolge in der Unfähigkeit, politisch-militärische Entscheidungen zu treffen und effektiv umzusetzen. Schlussfolgernd seien die Institutionen in ihrer jetzigen Form nicht in der Lage, mit den globalen Bedrohungen der westlichen Hegemonie umzugehen und es bedürfe der Ausarbeitung strategischer Konzepte, dem zu begegnen.
Spannend und aufschlussreich wird die Lektüre des Strategiepapiers in den folgenden beiden Kapiteln „Strategy“ (S. 87 ff) und „An Agenda for Change“ (S. 115 ff), in denen die Ausrichtung der neuen Strategie sowie die ganz konkreten Schritte und Maßnahmen vorgestellt werden. Nicht nur ein „in den Köpfen des Gegners Unsicherheit erzeugendes, nicht länger reaktives, sondern proaktives“ (S.96) Konzept für die NATO wird entwickelt – die ex-NATO-Generäle behalten sich auch Vorschläge für Reformen von UNO, EU, OSZE und nationalstaatlichen Regierungen vor.
Zunächst wird im dritten Kapitel sehr klar umrissen, was Ziel einer „großen Strategie“ sein müsse: Um Auseinandersetzungen zu ihren Bedingungen zu beenden, dürfe nicht erst auf eine Provokation reagiert werden, sondern der Kurs der Auseinandersetzung müsse durch aktive Intervention auf verschiedenen Ebenen (politisch, militärisch, medial) bestimmt werden. Diese Strategie solle zwar – ohne notwendige Eskalationen zu vermeiden – die Verhältnismäßigkeit der Mittel wahren, was aber, der Logik der Autoren folgend, den Einsatz von Atomwaffen durchaus einschließen könne. „Atomwaffen bleiben unersetzlich und deren Ersteinsatz Element jeder modernen Strategie.“ (S. 97) Denn wesentliches Element der Strategie ist die angedrohte bis hin zur konkret demonstrierten militärischen Dominanz des NATO-Militärbündnisses als Abschreckung nicht nur gegenüber Staaten, sondern auch gegenüber Einzelakteuren, die sich dem Willen der NATO-Staaten widersetzen: „There is not, and never will be, any place where you can feel safe; a relentless effort will be made to pursue you and deny you any options you might develop to inflict damage upon us.“ (S. 95) Sollte die Wirkung der Abschreckung nachlassen, so müsse sie durch Eskalation wieder hergestellt werden. Dieses „Konzept der interaktiven Eskalation“ (S. 96) erfordert den Verfassern des Papiers zufolge die Eskalations-Dominanz (also die Potentialität des nuklearen Erstschlags als ultimative Option) und die Möglichkeit schnelle, flexible Entscheidungen zu treffen.
Bezüglich der bürgerlich-demokratischen Freiheiten in den Mitgliedsstaaten wird als Teil der „großen Strategie“ eine Gratwanderung zwischen gerade eben soviel individueller Freiheit und Bürgerrecht, dass die bürgerliche Zustimmung gewahrt wird, und einem möglichst restriktivem Umgang mit individuellen Freiheiten, der sich nicht scheut, das gesamte Spektrum möglicher Repressionen zu umfassen, vorgegeben:
„The continuing threat posed by terrorism and organised international crime requires restrictions on individual liberties, but these restrictions must never erode the citizens’ resolve to protect their country at all costs. On the other hand, homeland security must use all the options and instruments at its disposal to detect and prevent an opponent’s attempts to inflict damage on our vulnerable societies.“ (S. 100)
(„Die anhaltende Bedrohung durch Terrorismus und organisierte Kriminalität erfordert Einschränkungen der individuellen Freiheiten, aber diese Einschränkungen sollten nicht die uneingeschränkte Bereitschaft der Bürger(innen), das Heimatland mit allen Mitteln zu verteidigen, erodieren. Auf der anderen Seite muss sich die innere Sicherheit aller ihr zur Verfügung stehenden Optionen und Instrumente bedienen, um feindliche Versuche, unseren verwundbaren Gesellschaften Schaden zuzufügen, zu entdecken und zu verhindern.“, S. 100)
Die Trennung von innerer und äußerer Sicherheit macht den Autoren zufolge keinen Sinn, da Opposition sowohl von staatlichen als auch nicht-staatlichen, sowie von inneren und äußeren Akteuren ausgehen könne („Protection can no longer be achieved with responsibilities split between homeland security and defence against an attack from the outside, since the opposition could be non-state actors as well as state actors, or be a combination of the two, and an attack is not necessarily a military attack.“, S. 99).
Da die traditionellen Formen und Methoden der Regierungen und internationalen Organisationen nicht in der Lage seien, die oben erwähnte politisch-militärische Eskalationsdominanz und die flexible innere wie äußere Handlungsfähigkeit sicherzustellen, werden im vierten Kapitel „An Agenda for Change“ (S. 115 ff) entsprechende Reformvorschläge zur Anpassung formuliert. Diese sollen Grundlage für die Schaffung einer neuen Ordnung sein, mit der so viel wie möglich von der bestehenden westlich-hegemonialen Ordnung gesichert („to seek a new order and save as much as possible of the international order“, S.116) und eine „Zone wiedergewonnener Sicherheit“ (S. 117) hergestellt werden könne.
1. Reformvorschläge für die UNO (S. 121-123):
Der UNO wird als Dachorganisation zur Koordinierung der verschiedenen Suborganisationen (UNHCR, IAEA, FAO, …) eine wichtige Rolle in der „postinterventionellen Stabilisierung“ (S.122) zugeschrieben. Die Degradierung der UNO von einer Institution, die – zumindest vorgeblich – zur Sicherung des Weltfriedens und Einhaltung des Völkerrechts als uneingeschränkt anerkanntes Völkerrechtssubjekt geschaffen wurde, zu einem Handlanger der NATO-Interessen wird dermaßen zynisch formuliert, dass wir den betreffenden Absatz hier als O-Ton wiedergeben möchten:
„The UN must ensure that it is the rule of law that prevails, and not the power of force. We recognise that the UN is the only body or organisation capable of authorising the use of force in cases other than immediate self-defence. We wish to strengthen this role, but we also state that in addition to the obvious case of self-defence in the absence of a UN Security Council (UNSC) authorisation, we regard the use of force as being legitimate if there is no time to get the UNSC involved, or if the UNSC proves incapable of reaching a decision at a time when immediate action is required to protect large numbers of human beings. Should such extreme and exceptional situations occur, UN authorisation ought to be obtained after initial operations begin.“
(„Wir erkennen an, dass die UN die einzige Organisation ist, die die Legitimität hat, Kriegsmaßnahmen (…) zu autorisieren. Diese Rolle würden wir gerne stärken, aber (…) wir erachten Kriegsmaßnahmen auch dann als legitimiert, wenn es keine Zeit gibt, den UN-Sicherheitsrat in die Entscheidung zu involvieren (…). Sollten solche extremen und außergewöhnlichen Situationen vorkommen, sollte das UNO-Mandat nach dem Beginn des Einsatzes eingeholt werden.“, S.121)
2. Reformvorschläge für die OSZE (S. 123-124):
Die Funktion der OSZE liegt den ex-NATO-Stabschefs zufolge in der Konfliktprävention, Mediation, Koordinierung von NGO-Arbeit und in Kooperation mit der UNO in der postinterventionellen Stabilisierung sowie im „nation building“ (S.123). Sie werde als Vernetzungs- und Kommunikationsplattform (auch für diejenigen Nationen, die nicht in der EU oder NATO repräsentiert sind) zu einer Art Frühwarnsystem für internationale Konflikte.
3. Reformvorschläge für die NATO (S. 124-139):
Der NATO kommt in den Augen der Autoren selbstverständlich eine besondere Bedeutung in der künftigen Sicherheitspolitik der Mitgliedsstaaten zu. Um die Entscheidungsstrukturen und Handlungskompetenzen den „neuen Herausforderungen“ anzupassen, werden im Folgenden kurz-, mittel- und langfristige Maßnahmen vorgeschlagen:
Kurzfristige Agenda:
Die Autoren verlangen eine radikale Veränderung der Entscheidungsstrukturen im Sinne eines Transfers von Entscheidungskompetenzen von den einzelnen Mitgliedsstaaten (und damit potentiell der BürgerInnen) hin zu den hierarchischen Strukturen der NATO-Befehlshaber. Bei politischen Uneinigkeiten solle der NATO-Rat entscheiden und zwar, anstatt nach dem Konsensprinzip wie bisher, nach dem Mehrheitsprinzip. Nachdem eine Entscheidung (z.B. für eine militärische Intervention) getroffen wurde, sollen dem Willen der Autoren nach nur noch die Nationen, die sich aktiv (mit Truppen) an einem Kriegseinsatz beteiligen, den Verlauf der Operation mitbeeinflussen können. Das nationale Vetorecht soll so weit wie möglich zurückgedrängt werden.
So sollen die Nationen im Rahmen des NATO-Rats über die politischen Ziele und Rahmenbedingungen eines Einsatzes abstimmen, aber die konkrete Durchführung den NATO-Militärs überlassen (dabei soll die Entscheidungsmacht und Befehlsgewalt im jeweiligen NATO-Hauptquartier von dem Maß an nationaler Beteiligung und Risikoübernahme, also Truppenstärke, abhängen). Defensive Maßnahmen innerhalb eines Einsatzes (z.B. Schutz der NATO-Militär-Infrastruktur) sollen unabhängig von Entscheidungen des NATO-Rats durch die NATO-Befehlshaber eingeleitet werden.
Natürlich spielen Zensur und mediale Propaganda eine wichtige Rolle in der strategischen Ausrichtung eines kriegstreibenden Militaristenbündnisses. Da durch die modernen, globalisierten Medien Informationen aus NATO-Kriegseinsatzgebieten ungefiltert an die Öffentlichkeit gelangten und die Befürwortung von den betreffenden Einsätzen in der Bevölkerung der kriegführenden Nationen erodierten, bedürfe es einer neuen NATO-Informationsstrategie:
„(…) NATO must urgently develop an information strategy that will get it and ist nations back into the driving seat; otherwise it runs the risk of losing on the home front, even as ist forces win at the tactical or operational level. (…) It must influence the world´s perception that NATO is a force for good. Second, it must be on the screens before the opponent starts spreading the news, i.e. NATO has to win and maintain information dominance in public relations. Third, it must help to win the hearts and minds both of ist own nations (for NATO´s just course), and of the people in the theatre of operations.“
(„Die NATO muss dringlich eine neue Informationsstrategie entwickeln, die sie und ihre Mitgliedsnationen zurück auf den Fahrersitz befördert; ansonsten läuft sie Gefahr, an der Heimatfront zu verlieren, selbst wenn ihre Streitkräfte auf der strategischen oder Einsatzebene gewinnen. (…) Sie muss die weltweite Wahrnehmung der NATO als eine Macht der guten Seite beeinflussen. Zweitens muss sie auf Sendung sein, bevor der Gegner seine Nachrichten verbreitet, d.h. die NATO muss die Informationsdominanz bezüglich der public relations erlangen und bewahren. Drittens muss die Informationsstrategie helfen, die Herzen und Köpfe sowohl ihrer eigenen Nationen (für die gerechte Sache der NATO) als auch der Menschen in den Kriegseinsatzgebieten zu gewinnen.“, S.129).
Mittelfristige Agenda:
Die Bedeutung der NATO soll über ihre Funktion als Militärbündnis ausgeweitet werden. Hier kommt die hohe Bedeutung ins Spiel, die die NATO der Verwischung der Grenzen zwischen zivil-politischen und polizei-militärischen Elementen der Herrschaftssicherung beimisst. Eine integrale Strategie beinhalte demzufolge auch nicht-militärische Interventionen, die ebenso wohlgeplant und ebenfalls mit dem Maximum an Präzision, Bündigkeit und Vervollständigung durchgeführt würden wie auch die militärische Intervention. Da der NATO dieses „set of instruments“ (S. 131) bislang nicht zur Verfügung stehe, werden verschiedene Verträge bzw. Abprachen diskutiert, wie diese nicht-militärischen Dominanz- und Eskalationsinstrumente verfügbar gemacht werden könnten. Die sogenannte „Berlin Plus in Reverse“-Option (S. 131) würde die EU als einzelfallbezogene Basis für die nicht-militärischen Instrumente des NATO-Konzepts vorsehen, wobei die EU mit Polizeikräften und Paramilitärischen Einheiten unterstützend eingreifen könne.
„Most obviously, EU could help with police and paramilitary forces, such as the Italian carabinieri, on request from NATO for NATO-led stabilisation operations; but it could also support NATO with soft-power instruments that the EU has at ist disposal.“ (S.132).
Zunächst solle jedoch in jedem Einzelfall geprüft werden, ob die NATO nicht doch eigenständig die genannten Werkzeuge der nicht-militärischen Intervention aufweisen könne (insbesondere „Sanktionen und das gesamte Spektrum der Diplomatie“, S. 132), bevor die EU um Hilfe gebeten werde. Die OSZE und UNO als potentielle Handlanger im Dienst der NATO kämen erst in Frage, wenn auch die EU die geforderten Maßnahmen nicht einsetze.
Bezüglich der NATO-Erweiterung wird eine prinzipielle Offenheit für die Aufnahme neuer Mitgliedsstaaten als wichtiges Element der NATO-Prinzipien dargestellt. Grundsätzlich solle eine Erweiterung aber nur erfolgen, soweit es im Rahmen der neuen strategischen (z.B. geopolitischen) Ziele sinnvoll erscheine. Die NATO müsse Klarheit bezüglich ihrer geostrategischen Situation und geographischen Dimensionen erlangen, und so wird ein Konzept von drei dynamischen Kreisen der globalen NATO-Allianz vorgeschlagen: „Der innere Kreis, der immer und ausschließlich die NATO Treaty Area (NTA) umfasst, ist der kollektiven Selbstverteidigung verpflichtet, daher auch Collective Security Area (CSA). Der zweite Kreis umfasst eine weniger enge Sphäre der Partnerschaften in einer Common Security Zone (CSZ). Der dritte Kreis entfernterer Partnerschaften und Allianzen bildet die Outer Stability Area (OSA).“ (S. 134). Wenn eine NATO-Erweiterung mit dem Angebot der vollen Mitgleidschaft (also Einbezug in den „innerern Kreis“) in Betracht gezogen werde, so immer unter geostrategischen Gesichtspunkten sowie in Betracht der Kapazitäten zur kollektiven Verteidigung des neuen Mitglieds. Der „mittlere Kreis“ solle zur kollektiven Sicherheit der NATO-Mitgliedsstaaten beitragen, indem durch Konflikt- und Krisenprävention bewaffnete Auseinandersetzungen in einer gewissen Distanz zu den NATO-Staaten gehalten werden. Zu dem „mittleren Kreis“ werden Beziehungen der NATO zu Russland und der Ukraine gezählt. Der „äußeren Kreis“ sei der Bereich von Nationen, in denen die NATO durch permanente oder kurzfristige Kooperation in Form von (Geheimdienst-/) Informationsaustausch und Standardisierung von Verfahren Stabilität schaffe und mit denen „auf Basis einer Fall-zu-Fall-Kooperation Koalitionen der Willigen in Interventionen“ (S.135) eingegangen werden könnten.
Die NATO-Streitkräfte sollen sich nach den Vorstellungen der Autoren einer militärischen Inventur unterziehen, um ihre militärische Schlagkraft und den Stand der militärischen Umgestaltung korrekt einschätzen zu können. Wenn diese Inventur rechtzeitig zum NATO-Gipfel 2009 fertig sei, solle nicht gezögert werden, die jeweilige Beteiligung der Mitgliedsstaaten beim Namen zu nennen, um so Druck für mehr militärische Beteiligung zu erzeugen. („If this report is ready in time for the 2009 summit, it must not hesitate to pursue a ´name and shame´ policy as far as the nations´ commitments are concerned.“, S. 136)
Langfristige Agenda:
Sinn der oben genannten Inventur der NATO-Streitkräfte soll langfristig sein, den politischen Willen der Mitgliedsstaaten zur angemessenen Aufrüstung des nationalen militärisch-industriellen Komplexes herzustellen und so die Kapazitäten der militärischen Infrastruktur der NATO zu erweitern: „To this end, nations should (…) be supported by an appropriate defence industrial base.“ (S.136) Abhängig vom Erfolg dieser Bemühungen sei dann zu überlegen, inwieweit NATO-eigene und –befehligte unabhängige Streitkräfte etabliert werden können und welche Aufgaben diese übernehmen könnten.
„We see multinational NATO-owned and operated component forces as key to a quick and affordable modernisation of NATO´s forces, but we stress that this approach can only be taken if nations are willing to agree to a firm and binding commitment that these forces will be at NATO´s unrestricted disposal for any operations that the NATO council might authorise.“ (S.137) „We strongly recommend looking into the establishment of a maximum of NATO-owned and operated multinationally manned component forces, in particular in the areas of command, control, communications, computers, intelligence, surveillance, reconnaissance (C4ISR), military police, disaster relief engineers, airborne fire fighters and transportation, including air to air refuelling (AAR).“ (S.138)
(„Wir sehen multinationale NATO-eigene und –befehligte Streitkräfte als Schlüssel zu einer schnellen und erreichbaren Modernisierung des NATO-Militärs, betonen aber, dass dieser Ansatz nur dann beschritten werden kann, wenn die Nationen einer bindenden und beständigen Verpflichtung zustimmen, dass diese Truppen für jegliche Operationen, die der NATO-Rat gebilligt hat, unter der uneingeschränkten Verfügung der NATO stehen.“, (S.137) Diese der NATO unterstehenden Militäreinheiten sollten insbesondere „die Bereiche Führung, Kontrolle, Kommunikation, Computer, Geheimdienstinformationen, Überwachung, Aufklärung (C4ISR), Militärpolizei, Katastrophenschutz, airborne fire fighters und Transport, inklusive Luft-Luft-Betankung (AAR)“ umfassen. (S. 138)
4. Reformvorschläge für die EU (S. 139-143):
Zunächst versprechen die Autoren, sich in Bezug zu Reformvorschlägen für die NATO in Zurückhaltung zu üben. Die Begründung ist dermaßen perfide und zugleich beschreibt sie die Realität so zutreffend, dass auch hier ein O-Ton her muss:
„We deliberately refrain from making proposals for EU reform in the same degree of detail as we did for NATO. This is for two reasons: first, a new treaty to replace the doomed ´constitution´ has been negotiated and is presently being smuggled in, thus avoiding the risk of having European voters consulted on the matter. Second, new proposals (…) are currently on the table.“ (S. 139)
„Wir werden uns zurückhalten, für die EU ebenso detaillierte Reformvorschläge wie für die NATO zu nennen. Dies aus zweierlei Gründen: erstens wurde ein neues Abkommen (gemeint ist wohl der „Vertrag von Lissabon“, Anm. d. Verf.) als Ersatz für die gescheiterte ´Verfassung´ verhandelt, das, um das Risiko der möglichen Ablehnung durch die europäische Wählerschaft zu umgehen, zur Zeit eingeschmuggelt wird. Zweitens werden aktuell weitere, neue Vorschläge (…) verhandelt (in diesem Zusammenhang wird z.B. das von Sarkozy vorgeschlagene Mittelmeer-Handelsabkommen genannt, Anm. d. Verf.)“.
Um die EU machtpolitisch und militärisch schlagkräftiger zu machen, werden die kurzfristigen Reformvorschläge für die NATO auch als Reformvorschläge für die EU in Diskussion gestellt (Mehrheits- statt Konsensprinzip, militärische Einsatzkontrolle durch die effektiv involvierten Nationen, bessere Informationsstrategien). Die Frontex wird als Beispiel für gut organisierten Grenzschutz gelobt, soll jedoch weiter ausgebaut und nach Möglichkeit an „allied and cooperative bodies“ (privatwirtschaftliche Trägerschaft???) überantwortet werden. Außerdem wird empfohlen, die Zusammenarbeit und Vernetzung mit dem US Department of Homeland Security zu intensivieren.
„It will (…) become increasingly vital in the coming years to strengthen those international agencies that control borders and customs. Frontex, the EU agency that looks at the control of external borders, customs and border police, is an example of a positive trend, which, we believe, needs to be developed. For nations to control their borders in the coming years, they may have to overcome the short-term concern of handling over some responsibility for policing those borders to allied and cooperative bodies.“ (S. 140)
(„Es wird in den kommenden Jahren von zunehmender Wichtigkeit sein, diejenigen internationalen Agenturen zu stärken, die die Grenzen kontrollieren. Frontex, die EU-Agentur, die die Außengrenzen, das Zollwesen und die Grenzpolizei kontrolliert, ist Beispiel für eine positive Entwicklung, die unserer Ansicht nach weiterentwickelt werden muss. Um in den kommenden Jahren ihre Grenzen zu sichern, werden Nationen ihre kurzfristigen Bedenken überwinden müssen, den Grenzschutz an alliierte und kooperative Körperschaften zu überantworten.“ (S. 140) (Was genau mit „allied and cooperative bodies“ gemeint ist, bleibt unklar. Evt. könnten privatwirtschaftliche Träger gemeint sein, Anm. d. Verf.)
Um die „Verwundbarkeit“ der EU zu verringern, wird vorgeschlagen, die Form der Organisation von Regierung (mit Ämtern und Ministerien) zu überdenken, da diese schnell zu treffende Entscheidungen nur hinauszögerten. Es wird explizit formuliert, dass diese Entscheidungen natürlich den einzelnen Mitgliedsstaaten überlassen werden müssten, jedoch wird bei der Umgestaltungen von Regierungen eine enge Zusammenarbeit mit der NATO nahe gelegt, um Ineffizienzen zu vermeiden.
„We have to leave it to the member nations of both NATO and the EU to draw their own conclusions, but we firmly believe that our vulnerability grows the longer we stick to the traditional format of cabinet responsibilities. (…) We also propose that the review process should be undertaken in close cooperation with NATO, with the aim of avoiding any duplication of inefficient overlaps.“ (S. 141)
(„Wir müssen es den Mitgliedsstaaten der NATO und EU überlassen, ihre eigenen Schlussfolgerungen zu ziehen, aber wir sind fest davon überzeugt, dass unsere Verwundbarkeit wächst, je länger wir an dem traditionellen Format der Regierungsorganisation festhalten. (…) Auch schlagen wir vor, dass dieser Umgestaltungsprozess in enger Zusammenarbeit mit der NATO unternommen werden sollte, um Doppelverantwortungen und ineffiziente Überschneidungen zu vermeiden.“, S. 141)
In Sachen EU-NATO-Kooperation wird die Etablierung eines gemeinsamen „NATO/EU Intelligence Fusion Centres“ (S. 142), in dem Geheimdienstinformationen zusammenlaufen und ausgewertet werden sollen, vorgeschlagen. Problematisiert wird die Unwilligkeit einzelner EU-Staaten, mit der NATO zu kooperieren und die „mangelnde Einsicht“, dass eine effiziente Politik das gesamte Spektrum der Politik von „weichen“ bis hin zu „ultimativen harten“ Optionen (wie zuvor deutlich formuliert, ist damit der nukleare Erstschlag gemeint) umfassen, entwickeln und gegebenenfalls anwenden muss:
„The most important, and indeed most urgent, action on the part of the EU is, however, to end ist obstruction of EU-NATO cooperation. (…) Second, its member nations must develop the resolve to act across the whole spectrum of politics, ranging from soft options to the ultimate hard option. Third, the EU must develop and eventually use the capabilities needed across the full range of the spectrum.“ (S. 142)
(„Die wichtigste und in der Tat dringlichste Aufgabe für die EU ist es, in welcher Art auch immer, die Blockierung der EU-NATO-Kooperation zu beenden. (…) Zweitens müssen ihre Mitgliedsstaaten die Entschlossenheit entwickeln, das gesamte Spektrum der Politik anzuwenden, von der weichen bis zur ultimativ harten Option. Drittens, muss die EU die Kapazitäten entwickeln und gegebenenfalls anwenden, die das gesamte Spektrum umfassen.“, S. 142)
1) Das NATO-Strategiepapier, auf das wir uns beziehen, wurde ausschließlich von Männern geschrieben und seine Inhalte reflektieren eine zutiefst patriarchale, dominanz- und machtzentrierte Sichtweise der Welt. Wir haben daher, wenn wir uns auf die Autoren beziehen, bewusst darauf verzichtet, sowohl die weibliche als auch männliche Form zu verwenden.
2) „Towards a Grand Strategy for an Uncertain World – Renewing Transatlantic Partnership“, General (ret.) Dr. Klaus Naumann, General (ret.) John Shalikashvili, Field Marshal The Lord Inge, Admiral (ret.) Jacques Lanxade, General (ret.) Henk van den Breemen (2007). Link zum Originaltext: http://www.csis.org/media/csis/events/080110_grand_strategy.pdf, Link zur Übersetzung: http://www.dielinke-bremen.de/nc/politik/aktuell/detail/zurueck/bremennews/artikel/kein-friede-mit-der-grand-strategy-der-nato/