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Antifaschismus

Nun kauft euch was Schönes!

Offiziell heißt es, die Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter sei abgeschlossen. Das stimmt nicht. Über den Anfang und das Ende der Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft.
Während im August 2006 in Berlin-Schöneweide die bundesweit erste Gedenkstätte für die NS-Zwangsarbeiter und -Zwangsarbeiterinnen eröffnet wurde, gab die Bundesstiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft im Dezember die Einstellung sämtlicher Zahlungen an die noch lebenden Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter bekannt.
Insgesamt seien 4,37 Milliarden Euro bzw 8,55 Milliarden Mark an 1,66 Millionen Anspruchsberechtigte ausgezahlt worden. Das wenige Geld, das übrig sei, solle nun »Hilfsprojekten« für Überlebende der Zwangsarbeit, etwa Betreuungen und Kuren, vorbehalten bleiben. Bisher unbearbeitete Anträge könnten nicht mehr berücksichtig, werden, da die entsprechenden Antragsfristen seit 2001 abgelaufen seien.
Die Initiative Entschädigung aller Zwangsarbeiter sprach in einer Pressemitteilung von »mehreren tausend Vor­gän­ge(n, die) bis heute nicht bearbeitet worden seien, sodass ehemaligen Zwangsarbeitern nun unverschuldet die Ablehnung ihrer Anträge droht«. Diese vorenthaltene Entschädigung komme einer »doppelten Bestrafung« der Opfer gleich. Ansonsten schwieg die Öffentlichkeit weitgehend. Grund genug für eine kritische Bestandsaufnahme der nun offenbar endgültig abgeschlossenen Geschichte der Zwangsarbeiterentschädigung.
In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre traf die Debatte um die Raubgoldprofite der Schweizer Banken mit Sammelklagen und Zeitungsanzeigen gegen deutsche Großunternehmen in den USA sowie der geplanten Fusion der Deutschen Bank und des US-amerikanischem Bankers Trust zusammen. Daraus ergab sich ein internationaler Druck zur Entschädigung der Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen, dem sich die Bundesregierung und deutsche Unternehmen nicht mehr entziehen konnten.
Bereits vor dem Beginn der groß angelegten Verhandlungen setzte sich die Bundesregierung als Schutzpatron der heimischen Wirtschaft in Szene. So beschloss Gerhard Schröder in Abstimmung mit den Konzernen unter explizitem Ausschluss der Opfer schon im Oktober 1998 die Einrichtung eines Bundesfonds.
Im darauf folgenden Februar gab eine gemeinsame Erklärung von Bundeskanzler Schröder und 13 Unternehmen – u.a. VW, BASF, Bayer, Höchst, Deutsche- und Dresdner Bank – die Marschrichtung vor. Wegen der »moralischen Verantwortung« der deutschen Wirtschaft sollte »ein abschließendes materielles Zeichen (…) aus Solidarität, Gerechtigkeit und aus Selbstachtung« gesetzt werden. Im Vordergrund der Bemühungen müsse stehen, »Klagen, insbesondere Sammelklagen in den USA, zu begegnen und Kampagnen gegen den Ruf unseres Landes und seiner Wirtschaft den Boden zu entziehen.«
An den vom US-Staatssekretär Stuart Eizenstat geleiteten Verhandlungen nahmen Gesandte der USA, der BRD, Israels und osteuropäischer Staaten, Beauftragte der deutschen Wirtschaft, Repräsentanten der Überlebenden sowie Anwälte der Opfer teil. Gegen den Willen der Opfer wurde auch die Frage der Rückerstattung arisierten Vermögens in die Gespräche einbezogen.
Diese Vermengung zweier Sachbereiche war Teil der deutschen Strategie, die Opfer in verschiedene Kategorien aufzusplitten und gegeneinander auszuspielen. So wurden die Opferrepräsentanten von der Bundesregierung zum Teil zu Parallelgesprächen vorgeladen oder osteuropäische Ansprüche wegen angeblich bereits geleisteter Finanzleistungen für Jüdinnen und Juden mit geheucheltem Bedauern zurückgewiesen.
Den Anfang machte die deutsche Seite mit einem Angebot über 1,7 Milliarden Mark, während die US-Anwälte 100 Milliarden forderten. Nach mehrmonatigen Auseinandersetzungen wurde folgendes Ergebnis erzielt: 700 Millionen wurden einem »Zukunftsfonds« für pädagogische und menschenrechtliche Arbeit zugewiesen, etwa eine Milliarde dem Ausgleich von Arisierungen und 8,1 Milliarden Mark der Verteilung an die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter.
Vom gesamten Betrag übernahm die deutsche Industrie nach Abzug der Steuer nur 2,5 Milliarden. Der Anteil der Wirtschaft wurde überdies nicht nach dem Verursacherprinzip in den Fonds eingezahlt, sondern sollte in Form einer »gemeinsamen Kraftanstrengung« unter Beteiligung aller heute in Deutschland existierenden Unternehmen aufgebracht werden.
Die bereits vor der Ermittlung der Empfängeranzahl erfolgte Festlegung des Entschädigungsvolumens hatte zur Folge, dass die pro Person aufgebrachte Summe im höchsten Fall 15 000 Mark betrug, die zudem zeitlich verzögert in zwei Raten ausgezahlt werden sollte.
Doch in der Realität erhielten nur Wenige Geld, da diverse Opfergruppen gänzlich von Zahlungen ausgeschlossen waren, wie etwa die ehemaligen Kriegsgefangenen, die rund ein Viertel aller Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ausgemacht hatten. Die gesetzliche Begründung lautete lapidar, »nach den Regeln des Völkerrechtes durften Kriegsgefangene von dem Gewahrsamsstaat zu Arbeiten herangezogen werden«.
Für die Glücklichen, die zum Kreis der Anspruchsberechtigten gezählt wurden, reichte das gezahlte Geld oft gerade noch zum Kauf eines Sarges.
(von Stefan Weigand – Jungle World)