Am 11. Januar 2003 veranstaltete der Neonazi Christian Worch einen seiner Aufmärsche in Wuppertal-Oberbarmen. Gegen den Aufmarsch protestierte bereits im Vorfeld ein breites Spektrum gesellschaftlicher Gruppen. Der DGB ließ ein Flugblatt verteilen, auf dem implizit zur Besetzung des Bahnhofs, über den die Neonazis anreisen wollten, aufgerufen wurde. Von der eigenen Courage erschreckt, zog der DGB-Vorsitzende von Wuppertal, Peters, jedoch einen Tag vor dem Naziaufmarsch den Aufruf zurück. Zu spät jedoch für rund 150 Menschen, die erfolgreich den Bahnhof den Neonazis streitig machten. Der Bahnhof selbst wurde von Polizei und Bundesgrenzschutz unter Einsatz von Gewalt gegen die nicht-militanten AntifaschistInnen geräumt. Dabei prügelte insbesondere der Bundesgrenzschutz die AntifaschistInnen mehrfach auf die Gleise. Auf Anweisung des als ultrareaktionär bekannten Wuppertaler Staatsanwalts Heinrichs wurden anschließend rund 70 AntifaschistInnen wegen eines „Anfangsverdacht wegen Verstoß gegen §21 Versammlungsgesetz“ festgenommen und mit Strafverfahren verfolgt.
Dieser § 21 ist ein Gummiparagraph, auserkoren, um als juristische Keule gegen den antifaschistischen Protest eingesetzt zu werden. Er lautet: „Wer in der Absicht, nicht verbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, Gewalttätigkeiten vornimmt oder androht oder grobe Störungen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Mit der Anwendung dieses Paragraphen auf die Wuppertaler Aktion wird versucht, jeglichen zukünftigen antifaschistischen Protest bereits im Vorfeld zu ersticken. Denn wenn der Protest zu einer Straftat umdefiniert wird, ist bereits die Vorbereitung antifaschistischen Protestes der Aufruf zu einer Straftat.
Der §21 wurde bislang selten angewandt – die wachsende Anzahl neonazistischer Aufmärsche in NRW und die entsprechenden antifaschistischen Proteste versetzen den staatlichen Repressionsapparat jedoch zunehmend in Schwierigkeiten. Damit die Neonazis unbehelligt von Protesten marschieren können, müssen regelmäßig hunderte, zeitweise tausende Polizeibeamte eingesetzt werden. Prügel für AntifaschistInnen vor Ort, anschließend Verfahren wegen Widerstand, „Vermummung“ oder Landfriedensbruch war die bisherige Vorgehensweise von Polizei und Justiz gegen den antifaschistischen Protest – erfolglos. Mit den Wuppertaler Prozessen und der massenhaften Anklage nach §21 wird ein neues Kapitel aufgeschlagen.
In Düsseldorf hatte es einen Angriff mittels §21 zuletzt gegen den damaligen Vorsitzenden des AStA der Heinrich-Heine-Universität gegeben, der dazu aufgerufen hatte, den Neonazi-Aufmarsch vom 28.10.2000 in Düsseldorf zu verhindern. Der Prozess endete mit einem Fiasko für die Staatsanwaltschaft – der AStA-Vorsitzende wurde freigesprochen. In den Wuppertaler Prozessen gibt es jedoch unterschiedliche Tendenzen: In erster Instanz wurde ein Antifaschist verurteilt, die Berufungsverhandlung steht noch aus. Ein weiteres Verfahren gegen eine Antifaschistin wurde auf unbestimmte Zeit vertagt, da das Gericht die Staatsanwaltschaft aufforderte, ausreichende Beweise vorzulegen. Vor dem Jugendgericht Hagen erzielte eine aus dem gleichen Grunde angeklagte Antifaschistin einen Erfolg: Das Gericht stellte das Verfahren ein und kündigte an, in weiteren anhängigen Verfahren ebenso vorzugehen.
Das letztendliche Ergebnis der Verfahren ist offen und hängt vor allem vom politischen Druck ab. Es liegt im Interesse der linken und demokratischen Bewegung, dass der Vorstoß der Wuppertaler Staatsanwaltschaft gestoppt wird, damit §21 nicht als Damoklesschwert über allen künftigen Aktionen hängt. Aktuelle Informationen über die Verfahren gibt es auf den Seiten der Düsseldorfer Antifa (www.antifakok.de).
Spenden für die Angeklagten bitte auf: Rechtshilfe Wuppertal Kontonr: 939348 Westdeutsche Landesbank BLZ: 30050000
EA
www.terz.org – 26.5.2003
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