Sueddeutsche Zeitung
Auf den ersten Blick sah alles aus wie eine der zahlreichen Aktionen, mit denen weltweit gegen den Irak-Krieg protestiert wurde.
Unbekannte hatten ein Seil um die Statue der griechischen Göttin geschlungen und die lebensgroße Figur der Pallas Athene vom Sockel gerissen – offenbar mit Hilfe eines Autos. Am Wuppertaler Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasium hatte die griechische Schutzgöttin der Wissenschaften und Künste, der Städte und der Krieger 45 Jahre lang gestanden. „Weg mit Brekers Kriegsgöttin“ hatten die Bilderstürmer auf den Sockel der Statue gesprüht.
Proteste dagegen, dass ausgerechnet vor dem humanistischen Gymnasium eine Statue von Hitlers Lieblingsbildhauer Arno Breker (1900-1991) aufgestellt worden war, gab es in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder.
Abgesehen von Reliefs an Bank- und Versicherungsgebäuden war es dem im
heutigen Wuppertaler Stadtteil Elberfeld geborenen Breker an keinem anderen Ort in Deutschland gelungen, seine Kunst nach dem zweiten Weltkrieg im öffentlichen Raum zu platzieren. Noch 1981 lehnten Düsseldorf und Norderney die Aufstellung seines Heinrich-Heine-Denkmals unter Hinweis auf Brekers NS-Vergangenheit ab. Als vor wenigen Jahren die Wuppertaler Museumsdirektorin gar eine Breker-Ausstellung plante, verhinderte breiter
öffentlicher Protest das fragwürdige Projekt.
Wie kein zweiter Künstler seiner Zeit hatte Breker Hitler und sein Regime in überlebensgroßen heroischen Skulpturen verherrlicht und so vom Nationalsozialismus profitiert: Hitler schenkte ihm ein Landschloss, und in Brekers zahlreichen Ateliers wurden von dessen Assistenten Staatsaufträge
umgesetzt, die den gelernten Steinmetz zu einem der bestbezahlten Künstler der vierziger Jahre werden ließen. Klare Distanzierungen vom Nationalsozialismus vermisste man bei Breker nach dem Krieg, ähnlich wie bei Leni Riefenstahl. Millionär Breker wurde als „Mitläufer“ zu einer Geldstrafe von 100 Mark verurteilt. Die Porträtbüsten, die er in den Folgejahren unter anderem für die Industriellen Oetker, Quandt, Bayer und Girardet in Bronze
goss, brachten ihm jeweils 150000 Mark ein. Die Kunst brachten sie eben so wenig weiter wie Brekers handwerklich zwar perfekte, künstlerisch aber durch ihre platte Abschilderei vollkommen langweiligen und unwichtigen früheren Arbeiten.
Die Festgemeinde, die sich am 3. Mai 1957 zur Einweihung der Statue am Eingangstor der 1578 gegründeten Schule versammelt hatte, schien Brekers NS- Nähe nicht zu stören. Die glatte Unverbindlichkeit der Statue, die so gar nichts mehr mit Brekers zehn Jahre zuvor seriell entstandenen Rassekult- Skulpturen gemein hatte, passte in den opportunistischen
Zeitgeist jener Jahre, in denen die jüngste deutsche Geschichte kein Thema sein sollte. Über die politische Vergangenheit ihres Schöpfers, der lächelnd in der ersten Reihe saß, verlor Schulleiter Heyn kein Wort. Regelmäßige Protestaktionen vor allem aus der Schülerschaft gegen die Breker-Skulptur
vor dem Schultor führten auch in den vergangenen Jahrzehnten nie zu Konsequenzen.
Heute sieht Schulleiter Karl-Wilhelm Weeber das anders. Doch er fürchtet eine „Ideologisierung der Debatte“. Deshalb liegt die Athene-Skulptur nun gut verpackt in der halb offenen Pausenhalle der Schule, zu deren prominentesten Schülern einst Friedrich Engels gehörte. Was künftig mit ihr geschehen solle, ob es überhaupt eine öffentliche Debatte über Wiederaufstellung oder Einlagerung geben werde, so Weeber, wisse er noch nicht: „Der Meinungsbildungsprozess darüber, ob wir dieser Gewaltaktion folgen oder ob wir den ursprünglichen Status quo wieder herstellen, ist noch nicht abgeschlossen“. Viele Mitglieder der Schulgemeinde, sagt Weeber
später, sähen die Athene längst als Wahrzeichen der Schule an. Wie vorher kann es in Wuppertal jedoch nicht mehr werden: Schon seit vielen Jahren fehlte der griechischen Göttin der Schild, den sie einst in ihrer linken Hand hielt. Bei ihrem Sturz zerbrach nun auch noch der Speer in der rechten.
STEFAN KOLDEHOFF
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