Von der Notwendigkeit einer klassenkämpferischen Praxis für die Linke
(Sozial-AG von Fels)
Seit einigen Jahren ist Kapitalismuskritik wieder en vogue. Auch innerhalb der radikalen Linken scheint diese nicht mehr mit Ökonomismus assoziiert zu werden. Ganz im Gegenteil: Es wird eine richtige – ergo nicht verkürzte – Kapitalismuskritik eingefordert. Dennoch ist wohl die radikale Linke in Deutschland eine der wenigen, bei welcher die Intervention in das soziale Verhältnis Kapitalismus Skepsis hervorruft. Antikapitalistische Praxis hat scheinbar noch nichts von ihren klischeehaften Auswüchsen der vergangenen Jahrzehnte verloren: Bedeutet das nicht morgens früh aufstehen und schlaftrunken vor Fabriktoren schlecht gelaunten ArbeiterInnen Flugblätter in die Hand drücken? Oder endet man nicht kurz oder lang als reformistischer Gewerkschaftsaktivist? Und überhaupt: Sollte sich eine Linke – besonders in Deutschland – nicht erst einmal ein grundlegendes Verständnis von dem erarbeiten, was Kapitalismus ist, bevor sie praktisch interveniert?
I. Die soziale Frage – ein Herrschaftsprojekt
Wird Kapitalismuskritik mit dem Versuch verknüpft, Felder praktischer Intervention zu finden und auszuloten, so meist unter dem Begriff der »sozialen Frage«. Bereits hier wird klar, warum es so schwer ist, eine radikale Praxis zu entwickeln. Die soziale Frage war immer ein Herrschaftsprojekt. Historisch führte sie Bismarck Ende des 19. Jahrhunderts ins Feld, um die erstarkende ArbeiterInnenbewegung und soziale Kämpfe herrschaftsförmig einzubinden. Damit gingen erkämpfte Errungenschaften nicht einfach verloren, aber dem Projekt Sozialismus/Kommunismus wurde die soziale Frage entgegengestellt und viele emanzipatorische Begierden wurden in der sozialstaatlichen Institutionalisierung eingebunden und in dieser Form kanalisiert. Aber dass es heute innerhalb der radikalen Linken keinerlei alternative Begriffe gibt, deutet – dem Materialismus verpflichtet – auf reale gesellschaftliche Verhältnisse hin. Auf der einen Seite hat sich ein großer Teil der ehemaligen ArbeiterInnenbewegung – wie die Gewerkschaften – auf die soziale Frage eingelassen und bewegt sich auch nur noch in diesem herrschaftsförmig abgesteckten Rahmen: Sozialstaat, Lohnkämpfe, Mitbestimmung etc.. Auf der anderen Seite hat die radikale Linke den Bezug zu sozialen Kämpfen – zu historisch geführten wie den aktuellen – bereits so weit verloren, dass sie sich diesen nur mit dem Begriff der sozialen Frage nähern kann. Der Begriff »Kommunismus« ist zu einer hohlen Phrase derjenigen geworden, die hinter aktuellen Kämpfen nur die Reaktion wittern. Das Verständnis und die Erfahrung jahrzehntelanger Kämpfe scheinen verschüttet.
II. Kapitalismus – Der Begriff ist alles die Bewegung und das Ziel nichts
Was in der linken Theoriebildung gänzlich zu kurz kommt, ist eine Verständigung über die Reichweite von Theorie. Damit ist weniger das gern beklagte Auseinanderfallen von Theorie und Praxis gemeint. Vielmehr geht es um die Frage, welche Relevanz eine theoretische Kritik am Kapitalismus in konkreten Auseinandersetzungen zukommt bzw. wie das Verhältnis zu gesellschaftlichen Praxen ist. Diese Frage scheint beantwortet, bevor sie richtig gestellt wurde: Nur in der theoretischen Kritik ist die Distanz zum Gegenstand – dem Kapitalismus – so groß, dass die Gefahr, sich in seinen Fängen zu verstrikken, gering ist. Der unterstellte totale Verblendungszusammenhang gebietet deshalb nur diese Form der Intervention. Aber nur selten werden die Bedingungen der Möglichkeit dieser Kritik ausgewiesen und damit bleibt Kritik nur Habitus. Die richtige Einsicht, dass im Kapitalismus alle unter gesellschaftlichen Zwängen stehen und nur unter diesen gehandelt werden kann, schlägt in Angst um. Angst, die Verhältnisse nicht grundlegend überwinden zu können und damit eigentlich auf der Stelle zu treten oder die Verhältnisse nur immer wieder neu oder gar besser einzurichten. Schließlich wird diese Praxis Opfer bürgerlicher Vorstellungen von Öffentlichkeit, Rationalität und Aufklärung. Denjenigen, an die radikale Positionen oder Forderungen heran getragen werden, soll die Absurdität des Ganzen und die Rationalität des eigenen Projekts einsichtig gemacht werden. Die Rationalität des alltäglichen Irrsinns liegt aber in Alltagspraxen. Der radikalste Ausdruck bürgerlichen Aufklärertums ist eine neue Form von Idealismus. Den bringen die Antideutschen Kommunisten so auf den Punkt: »Wenn es gelingen würde, dem Kommunismus als Idee (Hervorhebung v. uns) wieder Leben einzuhauchen, dann wären auch die tagespolitischen Fragen weniger verwirrend.«(1)
Eine befreite Gesellschaft hängt nicht daran, der Idee davon Leben zu verleihen, sondern daran, sie im Alltag zu verwirklichen. Sich auf diese Ebene einzulassen, bedeutet immer in konkreten Auseinandersetzungen verstrickt zu sein. Gegenüber dem messianischen Aufklärertum gilt es das Primat der Praxis zu betonen. Die Vorstellungen von der Welt, gesellschaftlichen Verhältnissen sowie Ideologien sind keine einfach aufzuklärenden Missstände in den Köpfen der Menschen. Vielmehr haben diese eine Materialität in alltäglichen Praxen: Im täglichen Einkaufen, in Lebensrhythmen wie Aufstehen und zur Arbeit gehen, in Auseinandersetzungen um Lohn, in Verhaltensweisen als Lohnabhängige/r, Konsument/in, deutsche/r Staatsbürger/in, Mann und Frau. An diesen täglich bewusst und unbewusst vollzogenen Praxen gilt es anzusetzen.
Zum Beispiel Lohnkampf: Für Marx ist der Lohnfetisch – also die Naturalisierung eines gesellschaftlichen Verhältnisses – der zentrale Moment, an dem das Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnis unter der Geldbeziehung zwischen Lohnarbeit und Kapital verschwindet. Die Mehrarbeit erscheint als bezahlt und auf dieser »Erscheinungsform [?] beruhen alle Rechtsvorstellungen des Arbeiters wie des Kapitalisten, alle Mystifikationen der kapitalistische Produktionsweise, alle ihre Freiheitsillusionen.«(2) Das Verhältnis, das sich im Lohn ausdrückt, stellt sich aber nicht einfach über ein objektives Gesetz her, sondern aktives Abschließen von Arbeitsverträgen, Formulierung von Interessen und Lohnvorstellungen in Gewerkschaften etc. bilden die Grundlage. Die zentrale Fetischform »Lohn« ist also nicht unabhängig von alltäglichen Praxen zu denken, die ihr eine materielle Existenz verleihen. Somit ist es der Klassenkampf, der die Bedingung der Erkenntnis legt.
Die Alltagspraxen der Menschen bleiben nicht notwendigerweise an die bürgerlichen Formen gebunden, gerade weil der Kapitalismus ein antagonistisches Verhältnis ist, in dem immer wieder soziale Konflikte aufbrechen. Diekapitalistische Produktionsweise kann sich gar nicht aus sich selbst heraus reproduzieren. Es ist eine gewisse Lebensweise der Menschen notwendig, nach der jene Konflikte in einer bestimmten Art und Weise realisieren und verarbeiten. Erst diese Lebensweise mit ihren Praxen und Vorstellungen garantiert das Verhältnis. Nicht nur hier kann angesetzt werden, sondern auch an den ganz offensichtlichen Repressionen: Den Instrumenten der sozialen Kontrolle, von Kontrolleuren des Sozialamts bis hin zu denen in der U-Bahn.
III. Tradition oder Denunziation
In der Auseinandersetzung mit linker Geschichte herrschen zwei Idealtypen vor. Zum einen Folklore, zum anderen Denunziation. Auf der einen Seite wird die eigene Identität mit »ruhmreicher« Vergangenheit begründet und gestärkt. Die Selbstvergewisserung verläuft entlang von Ritualen, Mythen und Symbolen, die eine inhaltliche Auseinandersetzungen ausspart. Auf der anderen Seite findet innerhalb der radikalen Linken inzwischen kaum noch Kritik statt, sondern Denunziation. Hier funktioniert die Versicherung der eigenen Legitimation mit umgekehrten Vorzeichen: Die eigene Daseinsberechtigung und Identität speist sich aus der Abgrenzung, die aber nicht im Modus der Kritik verläuft. Was bei ersteren fehlt, Kritik, schlägt bei letzteren in Denunziation um. Offensichtliche Absurditäten werden so – ohne Differenzierung verschiedener Strömungen – zu einem homogenen Etwas verdichtet und angeklagt. Eine Verantwortung für linke Geschichte wird nicht übernommen. Kritik lässt sich auf seinen Gegenstand ein, führt Unterscheidungen ein und fragt vor allem nach den Bedingungen des Kritisierten. Diejenigen innerhalb der linken Geschichte – Querulanten und sonstige Abweichler -, die die richtigen und noch nicht beantworteten Fragen gestellt haben, werden nicht Gegenstand der Kritik, bzw. erst gar nicht wahrgenommen: So wie die von Karl-Heinz Roth beschriebene »andere Arbeiterbewegung«. Diese verweigerte sich dem Lohnsystem, einem positiven Arbeitsbegriff und lehnte die Institutionalisierung von Kämpfen ab. Beispiele sind die JobberInnenbewegung oder die Kämpfe der MigrantInnen(3) in den siebziger Jahren. Diese wurden entlang von unmittelbaren Konflikten um Lohn, Kindergeld oder Bandgeschwindigkeiten geführt und stehen bis heute als Bezugpunkte für Selbstorganisierung und offensiven Antirassismus. Andere Beispiele sind die Organisierungsprozesse von illegalisierten Hausarbeiterinnen(4) unter den Bedingungen von geschlechtsspezifischer und rassistischer Arbeitsteilung.
IV. Neue Subjektivitäten – neue Kämpfe?
Der in diesem Text benutzte Begriff der »Intervention« zeigt ein Dilemma auf. Als linksradikale Gruppe wird in einem Feld interveniert, d.h. es liegt ein äußerliches Verhältnis vor – eine Form von Stellvertreterpolitik. Anfang der neunziger Jahre herrschte bei einigen Linken dagegen die Hoffnung, dass sich dieses Problem erledigen werde. Exemplarisch für diese Debatte hatte es Karl Heinz Roth als Pluspunkt gewertet, »dass wir Linke im Gegensatz zu den sechziger und siebziger Jahren seit einiger Zeit von den sozialen Umschichtungen direkt betroffen sind. [?] Der größte Teil der Linken ist inzwischen selbst prekär, an flexibilisierte Arbeitsverhältnisse gefesselt oder freiwillig-unfreiwillig in das Lager der selbständigen ArbeiterInnen übergewechselt. [?] Die Kluft zwischen subjektiver Klassenlage und sozialistischem Anspruch hat sich im Sog der allgemeinen Reproletarisierung weitgehend aufgelöst.«(5) Bisher hat diese Entwicklung jedoch kaum zu einer neuen Form von Kämpfen geführt. Nicht zuletzt deshalb, weil die studentisch geprägte radikale Linke trotz dieser Entwicklung immer noch die Sahnegarnitur dieser Reproletarisierung darstellt.
Die Call Center Ofensive (CCO) in Berlin ist dagegen ein Beispiel dafür, wie klassenkämpferische Politik aussehen könnte. Nach der u.a. von FelS organisierten Existenzgeldkonferenz 1999 wurde den OrganisatorInnen der AG zur Prekarisierung klar, dass ein konkretes Projekt entwickelt werden müsste. Einige GenossInnen arbeiteten selbst in Call Centern oder hatten Agents in ihrem Bekanntenkreis. Dieser unmittelbare Bezug wurde zum Ausgangspunkt der Organisierung genommen. In den letzten drei Jahren gab es in Berliner Call Centern mehrere Konflikte, an denen die CCO in unterschiedlicher Weise beteiligt war. Kämpfende Agents wurden durch Pressearbeit und Kundgebungen unterstützt, offene Treffen wurden ausgerichtet, damit Agents sich organisieren konnten und in kleineren Rahmen wurde Rechtsberatung organisiert.
An diesem Punkt sind die Erfahrungen der CCO mit organisierten Antifa-Linken interessant. Im Fall von Arbeitskämpfen haben diese den Gewerkschaften häufig einen Alleinvertretungsanspruch zugewiesen. Aufgrund der Tatsache, dass Gewerkschaften bisher auf dem Feld der Telefondienstleistung kaum Fuß gefasst haben, eine eher fernliegende Vorstellung. Mit Arbeitskämpfen verbanden viele Antifa-Linke bereits von vornherein etwas »Reformistisches«. Konsequenterweise sollte sich dann auch die zuständige Organisation darum kümmern: Die Gewerkschaft. Der Korporatismus und die Funktionsweise des »Rheinischen Kapitalismus« bleiben somit positive Bezugspunkte, obwohl deren Mechanismen in prekären Arbeitsverhältnissen noch weniger Orientierungspunkte für die flexibel Arbeitenden bieten, als dies in den goldenen Zeiten des Fordismus der Fall war.(6) Die strukturelle Abwesenheit der Gewerkschaften in den neuen Arbeitsverhältnissen wird sich kurzfristig trotz gewerkschaftlicher Anstrengungen kaum aufheben lassen. Diese Lücke bieten auch der Linken neue Möglichkeiten. Der CCO ist es gelungen, aufgrund von Kontinuität, Kompetenz und der damit verbundenen Bekanntheit zeitweise zur ersten Anlaufstelle für Agents in Berlin zu werden. Wohlgemerkt eine Initiative, die immer darauf hingewiesen hat, dass sie keinen positiven Begriff von Arbeit hat und korporatistische Aushandlungsmechanismen ablehnt. Die Linke konnte so in konkreten Alltagskämpfen wieder erkenn- und erfahrbar werden.(7)
Als AG Sozialer Widerstand haben wir uns nach längeren Diskussionen dagegen entschieden in einen Bereich der neuen Arbeitsverhältnisse zu intervenieren. Da wir kaum Schnittflächen von gemeinsamer Betroffenheit gefunden haben, wäre der Versuch tatsächlich eine Intervention von außen gewesen.(8)
Statt dessen haben wir im Zuge der verstärkten Berliner Sparpolitik an Protesten in Bereichen teilgenommen, die uns alle unmittelbar betreffen. FelS beteiligte sich z.B. im letzten Jahr an Protesten gegen die Preiserhöhungen der Berliner Freibäder. Die Anhebung der Preise ist eine Reaktion auf die Verschuldung Berlins, u.a. verursacht durch Verluste der Berliner Landesbank bei Immobilienspekulationen in den neunziger Jahren. Bei der ersten Aktion konnten mehrere Leute – ohne zu bezahlen – durch den Haupteingang ins Schwimmbad gelangen. Damit wurde deutlich, dass es nicht allein um zu hohe Preise geht, sondern die Warenförmigkeit selbst in Frage gestellt werden kann und das nicht als individueller Akt – heimlich über den Zaun klettern – sondern als kollektiver. Auch wird mit dieser offensiven Aneignungshaltung der sonst vorherrschenden Umverteilungsrhetorik eine Alternative entgegengestellt. Trotz dieses militanten Charakters wurde die Aktion von Schwimmbadbesuchern und später auch in der Presse durchweg positiv aufgenommen. Die wachsende Empörung darüber, dass privatwirtschaftliche Verluste dort aufgefangen werden sollen, wo eh nichts zu holen ist, schlug in eine »Solidarisierung niederer Intensität« um. Eine solche Stimmung hat nichts mit einer grundsätzlichen Kapitalismuskritik zu tun. Sie signalisiert aber, dass es innerhalb der Gesellschaft starke Widerstände gegen eine neoliberale »Durchökonomisierung« des Alltags gibt und der scheinbare Konsens, dass überall gespart werden müsse, nicht uneingeschränkt geteilt wird. Mit der »Berlin umsonst!«-Kampagne(9) wollen wir dieses Jahr mit anderen Gruppen diese Stimmung aufnehmen und kontinuierlich Aktionen entwickeln, welche die Spar- und Sachzwanglogik angreifen. Grundlage soll das Bedürfnis sein, eine Stadt auch ohne Geld und dem zugrundeliegenden Verwertungszwang erleben zu können. Die Aktionen beziehen sich primär auf öffentliche und private Einrichtungen die alle nutzen müssen und wo verschiedene Leute in Kämpfen gemeinsame Erfahrungen machen können. Damit besteht die Möglichkeit, den Charakter des Protestes zu verändern, der bisher stark – wenn er überhaupt statt fand – von Partikularinteressen geprägt war.
V. There is no alternative! – Experimentelle Praxis
In der politischen Praxis ist die Unschuld immer schon verloren. Das bedeutet nicht, dass wir uns nicht verheddern könnten. Aber es bedeutet zumindest, dass wir wissen, wie wir uns aus diesen Fallstricken wieder »befreien« können und wie wir beim nächsten Anlauf den einen oder anderen umgehen können. »Experimentelle Praxis« bedeutet die Gefahr des »ERROR« einzugehen, welcher ohne einen Versuch in der Praxis erst gar nicht erfahrbar – und damit Gegenstand der Reflexion – wäre. Theorie im leeren Raum, über das »wenn« und »aber« und den Kapitalismus im allgemeinen hat die Richtschnur und den Gegenstand politischer Reflexion bereits verloren: die Praxis.
Soziale und politische Kämpfe finden immer unter gegeben Rahmenbedingungen statt. Nicht nur der strukturelle Zwang zur Verwertung sondern auch die hegemonialen Kräfteverhältnisse formieren das Feld. Von dieser Kräftekonstellation ist die Formierung der Diskurse abhängig, die bestimmen, welche Forderungen und Positionen eine Eintrittskarte erhalten in das Feld dessen, was gemeinhin als vernünftigerweise noch diskutierbar gilt und welche nicht.
Die Kritik an der Waren- und Klassengesellschaft hat in den letzten Jahren innerhalb der Linken wieder an Raum gewonnen. In konkreten Auseinandersetzungen Erfahrungen zu sammeln, ist überfällig. Die radikale Linke kann dazu beitragen, dass sich soziale Kämpfe zu einem kontinuierlichen Widerstand entwickeln. Ihre Aufgabe ist es ebenso dazu beizusteuern, dass Erfahrungen nicht verloren gehen, sondern, dass ein kollektives Gedächtnis der Klasse entsteht. Klasse soll hier primär keine soziologische oder empirische Kategorie bezeichnen. Auch soll kein homogener Block konstruiert werden. In dem Verständnis von Klasse, auf das wir uns beziehen, entsteht sie durch geführte Kämpfe und erlebte Erfahrungen – inklusive der Erfolge und Niederlagen. Die aktuelle Transformation des Kapitalismus führt nicht nur zu einer Verschlechterung der Lebensverhältnisse und einer Verschärfung der Ausbeutungsbedingungen. Es sind gleichzeitig starre gesellschaftliche Formationen der Nachkriegszeit aufgebrochen, und mit der sogenannten Antiglobalisierungsbewegung entstand wieder Raum für Kapitalismuskritik und größere Mobilisierung. Es wäre fatal, wenn die radikale Linke in dieser Situation nur Däumchen drehen würde. Nach den rassistischen Mobilisierungen und Pogromen Anfang der neunziger Jahre gewann die Feststellung an Einfluss, dass der »Widerstand« der subalternen Klassen nicht automatisch fortschrittlich sei. Die Enttäuschung darüber führte dazu, dass die soziale Frage nicht mehr von links thematisiert wurde. Es ist gerade ein Kennzeichen des Herrschaftsprojekts soziale Frage, dass es den alltäglichen Rassismus und die antisemitischen Ressentiments aufgreift und diese zum Zweck der Herrschaftsstabilisierung zu nutzen versucht. Damit ist noch lange nicht ausgesagt, ob und in welcher Form der Rassismus von oben und der von unten zueinander finden. Der vereinfachende »Triple Oppression«-Ansatz, der verschiedene Verhältnisse gleichwertig nebeneinander stehen lässt bzw. miteinander addiert, kann gar nicht erkennen, wie sich diese Herrschaftsformen im Rahmen sozialer Auseinandersetzungen als Projekt soziale Frage ausdrücken können. Wenn die weitverbreitete Kritik am Rassismus und Sexismus des Proletariats nun einfach durch den Vorwurf des Antisemitismus und der verkürzten Kapitalismuskritik in weiten Teilen der Bevölkerung ausgetauscht würden, hätte sich die radikale Linke abermals aus einem umkämpften Feld verabschiedet.
Dies würde einem Versuch, das Begehren nach einer kommunistischen Gesellschaft zu reanimieren, zuwider laufen: Wer vom Klassenkampf nicht reden will, sollte auch vom Kommunismus schweigen.
Fußnoten:
(1) Phase 2, Nr. 7/2003, 78. Marx, der für die sogenannten Kommunisten eine Autorität darstellt, klärt in der Deutschen Ideologie auf: »Der Kommunismus ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben [wird]. Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt. Die Bedingungen dieser Bewegung ergeben sich aus der jetzt bestehenden Voraussetzung.«
(Marx-Engels-Werke, Berlin 1956 ff., Bd. 3, 35.)
(2) Marx-Engels-Werke, Berlin 1956 ff., Bd. 23, 562.
(3) http://www.kanak-attak.de/text/fordstreik.html
(4) http://www.respect-netz.de/
(5) Karl-Heinz Roth: Die Wiederkehr der Proletarität, Köln 1994, 32.
(6) So erfordert ein kämpferischer Betriebsrat jahrelanges Engagement und Kontinuität seiner Mitglieder. Von studierenden Agents, die im Schnitt jedes Jahr den Betrieb wechseln, kann dies kaum garantiert werden. Bei einem Call Center gab es die Erfahrung, dass der hart erkämpfte Betriebsrat mit der Zeit zum verlängerten Arm der Geschäftsführung wurde, nachdem die Studis ausstiegen und die wenigen Festangestellten wie TeamleiterInnen in das Gremium kamen.
(7) Genaueres zur CCO in arranca, Nr. 21, 2001 und unter http://www.callcenteroffensive.de . Im Ruhrgebiet haben einige Leute ebenfalls in den Call Center Bereich interveniert und ihre Erfahrungen kürzlich in einem Buch veröffentlicht (http://www.prol-position.net).
(8) Eine konkretere Auseinandersetzung mit neuen Arbeitsverhältnissen und (Schein-)Selbstständigkeit ist in der arranca, Nr. 22, nachzulesen. Leider ist die Anti-Kapitalismus AG des BgR Leipzig (vgl. Phase 2, 03/2002) bei der Rezeption der postoperaistischen Thesen zur Transformation der Arbeit rein deskriptiv geblieben. Die fehlende, aber selbst eingeforderte Kritik der Arbeit und die fehlende Frage, was das in praktischen Kämpfen bedeutet, bleibt in einem messianischen Hoffen, dass auf eine neue Vergesellschaftung neue Kämpfe folgen, stecken.
(9) http://www.berlin-umsonst.tk
== Für eine linke Strömung (FelS), AG Sozialer Widerstand/Ortsgruppe Lichtenrade ==
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