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Soziale Kämpfe

Work hard, stay poor

Mit den Ein-Euro-Jobs ist ein Sektor unfreier Arbeit in Deutschland
entstanden. Die Löhne in regulären Arbeitsverhältnissen sinken. von thomas
binger
Der Job ist anstrengend. Ich leiste genauso viel wie eine regulär
angestellte Kraft, trage Verantwortung, muss sehr früh aufstehen, kann mir
aber nichts leisten. Die Chance, eine regulär bezahlte Arbeit zu finden,
steht ziemlich schlecht«, lautet die recht typische Antwort eines
Ein-Euro-Jobbers auf einem Fragebogen der Dokumentationsstelle Hartz IV,
eines unabhängigen Projekts von Labournet, Tacheles e.V., der Initiative
Agenturschluss und der Bundesarbeitsgemein­schaft der Erwerbslosen- und
Sozialhilfeinitiativen.
Mit den Hartz IV-Gesetzen sind die »Arbeitsgelegenheiten mit
Mehraufwandsentschädigung« zum zentralen Instrument der »aktivierenden
Arbeitsmarktpolitik« geworden. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Umschulungen
oder Qualifizierungsan­gebote spielen so gut wie keine Rolle mehr. Bis
September vorigen Jahres hatten bereits 400 000 Langzeitarbeitslose eine
Ein-Euro-Maßnahme durch­laufen, im November waren im Osten 144 000 und im
Westen 120 000 Arbeitsgelegenheiten gemeldet. Langfristig sollen 20 Prozent
der Bezieher des Arbeitslosengeldes II in 600 000 Arbeitsgelegenheiten
eingesetzt werden.
Damit entsteht in der Bundesrepublik erstmals ein nennenswerter Sektor
unfreier Arbeit. Während die angeblichen Zusatzjobs kein ordentliches
Arbeitsverhältnis mit den entsprechenden recht­lichen Absicherungen
begründen und der Jobber gegenüber dem Träger der Maßnahme keinen Anspruch
auf Weiterbeschäftigung geltend machen kann, drohen den Arbeitsunwilligen
empfindliche Sanktionen. Erwachsenen, die einen Ein-Euro-Job ablehnen,
können zunächst 30 Prozent vom Regelsatz gekürzt werden, Jugendliche unter
25 Jahren verlieren unter Umständen ihre Bezüge gleich vollständig. Nach dem
Vorbild des früheren Hilfe-zur-Arbeit-Programms für Sozialhilfebezieher
werden die Betroffenen zu gemeinnütziger Tätigkeit zwangs­verpflichtet.
Die große Verbreitung erzwungener Arbeit markiert für die Bundesrepublik
endgültig den Übergang vom Welfare- zum Workfare-Prinzip. Unter der Maxime
»keine Leistung ohne Gegenleistung« werden soziale Garantien im Falle der
Bedürftigkeit ebenso abgeschafft wie das grundgesetzlich verbrief­te Recht
auf freie Berufswahl.
Gleichzeitig verbessert der Einsatz von Ein-Euro-Jobbern in Schulen,
Kindergärten, Bibliotheken, Pflegeeinrichtungen und in der städtischen
Grünpflege die öffentliche Infrastruktur und kompensiert Personalengpässe,
die wegen des Spar­zwangs in den Kommunen entstanden sind. Das im
Sozialgesetzbuch II vorgegebene Kriterium des öffentlichen Interesses dürfte
somit bei den Ein-Euro-Jobs in der Regel erfüllt sein. Das Gleiche gilt für
das Kriterium der Zusätzlichkeit – zumindest nach der Definition des
Göppinger Bürgermeisters Jürgen Lämmle: »Ein-Euro-Jobber verrichten
Tätigkeiten, die die Stadt sich sonst nicht leisten könnte. Das bedeutet:
Sie nehmen niemandem die Arbeit weg.« Dass erst die Sparpolitik und der
Personalabbau der vergangenen Jahre diese Zusätzlichkeit produziert haben,
wird dabei verschwiegen.
Nach der Einschätzung vieler Wissenschaftler können 600 000 neue
Arbeitsgelegenheiten nicht ohne Auswirkungen auf den ersten Arbeitsmarkt
bleiben. Man rechnet damit, dass qualifizierte Kräfte von ihren
Arbeitsplätzen verdrängt und sozialversicherungspflichtige
Arbeitsverhältnisse abgebaut werden. In der Privatwirtschaft dürften die
Löhne wegen der Konkurrenz des staatlich subventionierten Niedriglohnsektors
sinken. Aus Angst vor den Zumutungen durch Hartz IV erhöht sich gleichzeitig
die Bereitschaft der Menschen, einen schlecht bezahlten regulären Job
anzunehmen. Der Ausweitung sämtlicher For­men prekärer Beschäftigung steht
also auch ohne Kombi-Lohn nichts mehr im Wege.
Nach den Aussagen von Betroffenen gegenüber Labournet handelt es sich bei
den Ein-Euro-Jobs entweder um völlig unqualifizierte, monotone Tätigkeiten
wie das berühmte Müllaufsammeln im Park oder um höchst qualifizierte und
verantwortungsvolle Aufgaben in den Bereichen Pflege, Erziehung und Bildung.
Während bei der Beschäftigungsgesellschaft »Hamburger Arbeit« Wände gemauert
wurden, um sie anschließend wieder einzureißen, suchte die Stadt Duis­burg
EDV-Assistenten für die Hard- und Softwarepflege der kommunalen Verwaltung
und die Administration der städtischen Mediothek.
Die Zweiteilung entspricht den Empfeh­lungen des Soziologen Hermann Scherl
an die Nürnberger Bundesagentur für Arbeit. Er legte eine Aufteilung der
Zusatzjobs nahe in einen qualifizierten »Wahl­bereich«, in dem auf
»freiwilliger Basis« motivierte und geeignete Beschäftigte »für eine
Verbesserung des Angebotes sozialer Dienste« sorgen sollen, und einen
»Zuweisungsbereich«, in dem einfach zu erbringende und zu kontrollierende
Jobs »wie z.B. bei der Straßenreinigung« zur Überprüfung der
Arbeitsbereitschaft bewusst »unattraktiv ausgestaltet« und »unfreiwillig
zugewiesen werden können«.
Unabhängig vom Stellenprofil bedeutet die Übernahme eines Ein-Euro-Jobbers
in den ersten Arbeitsmarkt eine Ausnahme. Die Dokumentationsstelle Hartz IV
kommt nach der Aus­wertung ihrer Fragebogenaktion auf eine Vermittlungsquote
von lediglich 3,5 Prozent. In zwei Dritteln der Fälle war die Stelle zuvor
mit ABM-, Honorar- oder fest angestellten Kräften besetzt. Lediglich ein
Drittel wurde tatsächlich zusätzlich geschaffen. Nur in Ausnahmefällen
erhalten Ein-Euro-Jobber eine Qualifizierung, die über die Einweisung in die
Arbeit hinausgeht. Noch seltener haben die Angebote mit der aktuellen
Tätigkeit zu tun.
»Wir sind auf erstaunlich viele Leute gestoßen, die den Ein-Euro-Job
›freiwillig‹ machen«, lautet eine Erkenntnis, die auf regelmäßigen
öffentlichen Spaziergängen zu den Berliner Ein-Euro-Einsatzstellen gewonnen
wurde. Trotz aller Zumutungen kämpfen viele Erwerbslose geradezu um die
Zuweisung in einen Job. »Ich wollte einen Ein-Euro-Job und den habe ich auch
durch Druck erhalten«, sagten etliche Teil­nehmer an der Internetumfrage der
Dokumen­ta­­tions­stelle Hartz IV. Da angesichts eines Regelsatzes von 345
Euro viele Haushalte auf den Zuverdienst bis 180 Euro dringend angewiesen
sind, relativiert sich die »Freiwilligkeit« natürlich erheblich. Dennoch
freuen sich viele Betroffene auch über die mit dem Job verbundenen sozialen
Kontakte und das Gefühl, gebraucht zu werden. Manche Haushalte stehen zudem
mit dem Regelsatz, der Mehraufwandsentschädigung und den gezahlten
Mietkosten besser da als mit einem schlecht bezahlten regulären
Arbeitsverhältnis. Bei kürzeren Arbeitszeiten und geringerem Stress können
Ein-Euro-Jobs durch­aus Alternativen zur unterbezahlten Tätigkeit im
Einzelhandel oder im Friseursalon darstellen.
Unzufriedene Ein-Euro-Jobber klagen dagegen über den Arbeitszwang, die
geringe soziale Absicherung oder darüber, von lukrativen Einnahmequellen
abgeschnitten zu sein. »Wir werden hier kontrolliert arbeitslos gehalten,
damit wir nicht nebenbei schwarz arbeiten«, sagte ein Jobber in einer
Metallwerkstatt zu den Berliner Ein-Euro-Spaziergängern.
Kollektiver Widerstand gegen den Sektor unfreier Arbeit ist bislang marginal
geblieben. Als Gründe hierfür sind die Hoffnungslosigkeit und extreme
Vereinzelung der Betroffenen, aber auch die fehlende Unterstützung von
Gewerkschaften und betrieblichen Arbeitnehmervertretungen zu nennen.
Mehr zum Thema: Agenturschluss (Hg.): Schwarzbuch Hartz IV. Sozialer Angriff
und Widerstand – eine Zwischenbilanz. Berlin/Hamburg, Assoziation A, 11 Euro
aus Jungle World 2/2006 (http://jungle-world.com/seiten/2006/02/6956.php)