Ein-Euro-Jobs im Visier
Die Initiative „Agenturschluss“
protestiert in Ehrenfeld gegen unzumutbare Billigjobs und kündigt weitere unangemeldete „Kontrollen“ in Köln an
VON AXEL DENECKE
UND JÜRGEN SCHÖN
Ungewöhnliches Gedränge gab es am Freitagmorgen um 7 Uhr vor der EVA GmbH in Ehrenfeld. Unbekannte hatten das Tor des Haupteingangs mit einem Fahrradschloss verriegelt, die Beschäftigten mussten den Nebeneingang nehmen. Vor dem Tor hatten sich etwa 40 Demonstranten der Kölner Kampagne „Agenturschluss“ versammelt.
Der Grund für den Protest: die nach Meinung der Demonstranten unzumutbaren Bedingungen in den Qualifizierungsmaßnahmen der EVA. „Die EVA ist uns auf einem unserer Ein-Euro-Spaziergänge aufgefallen“, erklärte Heiner Stulfauth von der Kampagne, „wir haben mit Beschäftigten gesprochen und viele waren sehr sauer, weil sie hier erstens gar keine sinnvolle Ausbildung bekommen und man sich zweitens zu Tode langweilt, weil so wenig zu tun ist.“ Eine Beschäftigte mittleren Alters, die vor dem Tor wartete, drückte es so aus: „Früh Aufstehen lernen ist die einzige Qualifikation, die du hier bekommst.“
Die Geschäftsführerin der EVA, Inge Bahmani erklärte gegenüber der taz, dass das Angebot an Ein-Euro-Jobs erst im Aufbau sei, die EVA derzeit jedoch unter anderem das Qualifizierungsprogramm „Wege in Arbeit“ durchführt. In solch einem Programm sollen die von der Arbeitsagentur ausgewählten Kandidaten im Bereich Trockenbau, Elektrik oder Malerei weitergebildet werden. Für eine Vollzeitstelle bekommt jeder Teilnehmer 540 Euro Aufwandsentschädigung. Doch das Geld sei gar nicht das wichtigste für die Teilnehmer, sagt Inge Bahmani: „Viele sagen auch einfach: Gut, dass wir eine Struktur für unseren Tag haben“.
Doch das eigentliche Ziel, der Zugang zum so genannten ersten Arbeitsmarkt, erreichen damit nur für die wenigsten: Maximal jeder Fünfte aus einer solchen Beschäftigungsmaßnahme bekommt anschließend einen regulären Job. Kein Wunder, denn die Arbeitsagentur Köln zählte im April rund 70.000 Arbeitslose in Köln bei nur 3.900 freien Stellen. Für viele Arbeitslose, die irgendeine Beschäftigung suchen, wird in Zukunft der Billigjob der einzige Ausweg sein.
So war es auch bei der 41-jährigen Barbara Rutkowski. Die gelernte Erzieherin wollte es nach anderthalb Jahren Arbeitslosigkeit mit einem Ein-Euro-Job versuchen und wurde im April von der Arbeitsagentur zur EVA geschickt. Über das dortige Qualifizierungsangebot konnte sie sich allerdings nur wundern. „Mir wurde unter anderem ein PC-Anfängerkurs angeboten, obwohl ich meine Abschlussarbeit als Erzieherin am PC geschrieben habe. Außerdem hat man mir noch einen Strickkurs angeboten, oder ein Praktikum im Kindergarten. Ich habe gesagt, nee, ich brauche keine Beschäftigungstherapie.“ Sie beendete ihre „Qualifizierung“ bei der EVA, um in eine andere Ein-Euro-Stelle zu wechseln, die ihr mehr zusagt. Die Aktivisten der Kampagne Agenturschluss werfen der EVA auch vor, nicht zuletzt aus wirtschaftlichem Interesse Ein-Euro-Stellen anzubieten. „Die Betreiber bekommen monatlich 300 bis 500 Euro pro Arbeitslosem, der zu ihnen kommt und aus der Statistik fällt“, kritisiert Heiner Stulfauth.
Die Kampagne Agenturschluss plant weitere Protestaktionen. Kein sozialer Träger, der Ein-Euro-Jobs anbietet, soll sich vor ihren „Missbrauchskontrollen“ sicher fühlen. Letzte Woche hatten die Arbeitsplatz-Beobachter die Jugendwerkstatt und das Umweltzentrum West in Sülz besucht. Sie wollen „Merkwürdigkeiten“ aufzuspüren, die selbst unter der Hartz-IV-Gesetzgebung nicht rechtens sind. Bei vergangenen Besuchen hätten sie Ein-Euro-Jobber angetroffen, die andere Ein-Euro-Jobber zur Arbeit qualifizieren, erzählt ein Agenturschluss-Mitglied. Andernorts hätten Ein-Euro-Jobber nur 70 Cent pro Stunde erhalten. Aufgefallen seien auch Unregelmäßigkeiten bei der Bezahlung des ohnehin kärglichen Lohns. So sei verspätet ausgezahlt oder ein Teil des Salärs einbehalten worden – als „Erziehungsmaßnahme“. Vor allem will „Agenturschluss“ prüfen, ob durch Ein-Euro-Jobs versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen Konkurrenz gemacht wird.
taz Köln Nr. 7669 vom 21.5.2005,
Wuppertal: Ein-Euro-Aktionstag
von agenturschluss Wuppertal – 20.05.2005 20:03
„Finger weg vom Geschäft mit den Zwangsdiensten!“
Bericht vom Wuppertaler Stadtrundgang gegen die Vermittlungsstellen und Beschäftigungsträger von Ein-Euro-Jobs am 20. Mai.
Die erste dokumentierte Aktivität fand bereits um 4:45 Uhr in der Frühe statt. Eine kleine Abordnung von Ein-Euro-Job GegnerInnen besuchte Herrn Ahrens, den Leiter der Wuppertaler Caritas zu Hause in der Manteuffelstr. 6, klingelte ihn aus dem Bett und deponierte mehrere Alarmgeräte auf dem Dach und rund um sein Haus. Ein zurückgelassenes Flugblatt erläuterte den ungebetenen Weckdienst so:
Guten Morgen und herzlich willkommen bei der Qualifizierungsmaßnahme des Caritasverband Wuppertal – Lektion Eins: „Die eigene Würde durch zeitiges Aufstehen zurückerlangen“. Die Losung für den heutigen Tag lautet: Nur der frühe Vogel fängt den Wurm.
Für Herrn Ahrens ist das (Wieder-)Erlernen eines geregelten Tagesablaufs und das frühe Aufstehen schließlich ein Hauptziel der Qualifizierungsmaßnahmen für die Ein-Euro-JobberInnen bei der Caritas.
Zu etwas humanerer Zeit besuchten 15-20 Leuten die Recycling-Werkstätten der GESA gmbH , Wuppertals größtem Beschäftigungsträger für Ein-Euro-Jobs. Um die ungefragte Begleitung durch Staatsschutz und Bereitschaftspolizei loszuwerden gelangeten die Leute scheinbar unorientiert über Um-und Waldwege zu den Hallen in der Essener Straße. Hier sortieren u.a. 90 Ein-Euro-Kräfte Elektroschrott, Alt-KFZ und sonstiges Sperrgut. Die (per Order) wenig auskunftsfreudige technische Leitung der Betriebe und die betreuenden Vorarbeiter der Werkstätten konnten die zahlreichen Einzelgespräche erst nach einer halben Stunde mit einem ruppigen Rausschmiss beenden. In diesem Betrieb arbeiten mehrere (verständlich unzufriedene) ALG2 EmpfängerInnen, die nicht „freiwillig“ sondern von der ARGE hierhin geschickt wurden für 1,50 Euro die Stunde – Kein zusätzliches Fahrgeld.
Danach besuchte eine (schlecht ausgebildete) Ein-Euro-Putzkolonne den Leiter der ARGE Wuppertal im Rathaus. Da Herr Lenz selbst nicht zugegen war begnügte sich das lustig maskierte Reinigungspersonal mit dem Besprechungszimmer und dem Sekretärsbüro. Hier wurden recht ungelenk Utensilien von den Schreibtischen gefegt, viel Schmutz hinterlassen und die Akten mit unangenehm scharfen Reinigungsmitteln besprüht. Offenbar gibt es auch hier noch hohen Qualifizierungsbedarf.
Zum Abschluss besuchten die Ein-Euro-AktivistInnen die Wahlkampfveranstaltung der Wuppertaler Grünen und deren Hauptgast, den stellv. NRW-Ministerpräsidenten Vesper. Während dieser Promi-Kochveranstaltung wurde die Bühne in Beschlag genommen, mit Plakaten umgestaltet und die Arbeitsmarktpolitik von Rot-Grün mit Fokus auf die von ihnen eingeführten Ein-Euro-Zwangsdienste angegriffen.
Homepage:: http://www.labournet.de/agenturschluss |
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