Barrikaden gegen den G8 in Deutschland – Ein Mitglied des WSM berichtet aus
der ersten Reihe und aus den Zellen
Ein Mitglied des [anarchistischen irischen] Workers´ Solidarity Movement reiste letzte Woche zu den Protesten gegen die G8 in Heiligendamm, BRD. Er berichtet über die Aktionen, die dort gemacht wurde und dann über seine Festnahme und die schlechte Behandlung, die er erlebte.
— Der Aufbau – 2.Juni 2007—
Wir fuhren mit einem der 30 Busse, die von Hamburg aus nach Rostock fuhren.
Als wir ankamen war die Stadt mit Leuten überflutet, und auch mit einer
gewltigen Menge Polizei. Wir kamen am Startpunkt des Demozuges an, in dem
der anarchistische Block laufen sollte, der zweite Demozug bestand eher aus
NGOs und politischen Parteien. Nach ungefähr einer Stunde langweiliger
Reden und dem monotonen Schwermut von David Rovics startete die Demo — in
der hinteren Mitte hatte sich ein ziemlich beeindruckender schwarzer Block
gebildet, bestehend aus AntiFas, anarchistischen Gruppen und na klar, den
Leuten aus der autonomen Bewegung. Es ist es wert in Erinnerung zu rufen,
dass die schwarz gekleideten DemonstrantInnen politisch ein weitaus
eklektischerer, zusammengewürfelter Haufen sind.
Als die Demo ihren Weg durch die elegante Innenstadt von Rostock machte,
schien der Black Block, den Klängen des AntiFa Sound-Systems folgend,
erheblich anzuschwellen. Meine Schätzung wären, aber ich muss raten,
mindestens 6000-7000 Leute. Nach einer Stunde laufen und rufen drangen
Neuigkeiten durch, dass die andere Demo (die wir am Hafen treffen sollten)
von der Polizei mit Pfeffer Spray, Tränengas und natürlich dem stets
nützlichen Knüppel angegriffen worden war. Schwaden von Tränengas konnten
von fern gesehen werden, und es kam Unruhe in die Demo als es so aussah, als
würde die Polizei uns stoppen und davon abhalten, den Hafen und die anderen
DemonstrantInnen zu erreichen. Es gingen Rufe durch den schwarzen Block, die
Reihen zu schließen, da es schien, dass wir uns unseren Weg zu den anderen
würden durchkämpfen müssen. Wir waren etwas ängstlich, da sich die
Situation dem Eindruck nach schnell verschlechterte, wurden aber gestärkt
durch die augenscheinliche Zuversicht und Entschlossenheit, die uns umgab.
Bald ging die Demo jedoch weiter und die Bedrohung schien nachzulassen. Wir
kamen zum Hafen, wo die Gerüchte über Polizeigewalt in verletzten
DemonstrantInnen ihre Bestätigung fanden. Die Polizei versuchte dann, Leute
festzunehmen, die ihr Gesicht verdeckt hatten (dies ist eine Straftat in der
BRD) und die Menge verteilte sich etwas in den Seitenstraßen als Leute die
Repression der Polizei zurückkämpften. Die Situation eskalierte schnell,
als Greiftrupps der Polizei sich mit einiger Kraft gegen die Seiten des
schwarzen Blocks wendeten. Wie auch immer, sie stießen auf derart heftigen
Widerstand, wie ich es noch nie zuvor erlebt hatte. Steine, Flaschen und
andere Wurfgeschosse bereiteten den Bullen ein feindliches Willkommen, und
hielten sie fern als andere DemonstrantInnen in die Sicherheit entkamen. Es
schien als sei der Versuch der Polizei, die Demo anzugreifen und hunderte
AnarchistInnen und AntiFas festzunehmen fehlgeschlagen, sie bekamen von
allen Seiten von wütenden DemonstrantInnen Pfeffer und nach wenigen Minuten
mussten sie hastig den Rückzug antreten .
So ging es geraume Zeit weiter in der Gegend um den Hafen und die
benachbarten Straßen, was von Bildern und Videos besser beschrieben werden
kann [http://www.indymedia.org.uk/en/2007/05/371754.html] Ich möchte jetzt
weitergehen zu den Ereignissen der folgenden Tage.
Wir fuhren an diesem zum Camp Rostock zurück (einem der drei wunderbaren
G8-Camps) und verdauten die Ereignisse des Tages. 100 Festnahmen, viele
Verletzte und 400 Bullen in Behandlung (kein Mitleid an dieser Stelle). Uns
war klar geworden, dass die deutsche Polizei gut bewaffnet, gut geschützt,
gut trainiert und brutal ist, wenn sie das will. Auch hatte es die Tendenz
gegeben, die weniger militanten Teile der Demo anzugreifen, eine Taktik, die
an diesem Tag zwei Mal in großem Stil nach hinten losging, und am nächsten
Tag in der deutschen Presse ebenfalls. Es war uns jetzt auch klar, dass die
an diesem G8 beteiligten militanten Gruppen ihrer staatlich gesponserten
Nemesis mehr als gewachsen waren, sollte es die Situation erfordern.
3.-5.Juni
Am Sonntag gingen wir zu einer Demo für die Reform der Landwirtschaft.
Wieder gab es eine große Beteiligung, die Polizei tat alles in ihrer Macht
stehende, um die DemonstrantInnen aufzuwiegeln. Dieses Muster wiederholte
sich am folgenden Tag auf der Demo für die Rechte von MigrantInnen und das
Recht auf Bewegungsfreiheit, wo sie die gleichen Taktiken benutzten, aber
mit größerer Härte. Nach einem erfolgreichen Marsch zu einem „processing
centre“ wollten wir als Block zur Innenstadt zurückkehren. Die Polizei
hielt die Demo immer wieder an, ließ sie dann weiterlaufen, hielt sie
wieder an, und stellte Forderungen bezüglich der Kleidung der
DemonstrantInnen. Zuerst sollten keine Kapuzen aufgesetzt werden (obwohl es
regnete), dann keine Mützen, dann keine Sonnenbrillen. Ein Demonstrant zog
die Konsequenz und zog sich völlig nackt aus, ein Schriftzug auf seinem
Rücken verkündete „Ich bin ein wohl erzogener Demonstrant“.
Die modebezogeen Forderungen zielten klar darauf ab, den anwesenden großen
anarchistischen und schwarzen Block der Erforschung auszusetzen, vielleicht
aufgrund der Ereignisse vom Samstag. Sehr wenige gingen auf die abseitigen
Forderungen ein, und die Demonstration ging weiter, sie war in 4 Stunden
ganze 1.5 km weit gekommen! Die DemonstrantInnen ignorierten die Bemühungen
der Polizei, sie zu militantem Widerstand anzutreiben, alle wußten, dass
der Mittwoch (der Eröffnungstag des G8) schnell näher rückte und wir
unsere Anzahl und Energie besser darauf verwenden würden.
An diesem Abend zogen wir auf das Camp Reddelich um, da es unseren
politischen und organisatorischen Methoden eher entsprach. Den Dienstag
brachten wir damit zu, von Treffen zu Treffen zu gehen und einen klaren und
effektiven Plan für die Blockaden zu entwickeln, die am frühen Mittwoch
morgen beginnen sollten. Es wurden Bezugsgruppen gebildet, und wir kamen im
„englischsprechenden Block“ unter, bestehend aus 60-70 Leuten aus England,
Skandinavien, Irland und Deutschland. Nach einem langen, langen Tag endete
unser letztes Treffen um 1.30 in der Nacht, und wir warfen uns auf die
Matten, einen frühen Start zum blockieren der G8 nur wenige Stunden vor
uns.
Gegen 3:30 Uhr hörten wir die Alarmsirene des Camps, jungendlich Stimme
riefen, dass die Polizei das Camp angreifen wolle. Die 6000-7000 standen auf
und boten ein Bild verrückter Aktivität. Ich traf mich mit anderen am noch
immer brennenden Lagerfeuer unseres Barrios und wir tauschten Geschichten
aus über ein ähnliches Ereignis in Stirling (2005) wo damals nichts
passiert war. Das war auch diesmal so, nur dass die Polizei ihre Posten 500
m vor dem Tor auf der Bundesstraße verstärkte.
Wieder einmal kann man davon für künftige Camps lernen.
Die Blockaden
Um 10 Uhr früh verließen wir, ein verschlafener Haufen, das Camp durch
die dahintergelegenen Rapsfelder (die eine wunderbare Deckung abgaben). Wir
hatten genug Proviant dabei, um uns 36 Stunden auf der Aktion versorgen zu
können. Unser Plan war es, durch die Wälder in die Rote Zone
durchzubrechen und auf dem Weg Barrikaden auf so vielen Straßen zu bauen,
wie wir nur konnten. Jede Bezugsgruppe bestimmte eineN DeligierteN zum
„Delegiertenrat“, der an strategischen Punkten unserer Route zusammentreten
würde, um die dezentrale demokratische Struktur der Gruppe aufrecht zu
erhalten. Nach etwa 2 Stunden Wanderung durch dichten Wald und Rapsfelder
erreichten wir unser erstes Straßen-Ziel. Scouts wurden ausgeschickt, um
die Straße auszukundschaften und dann dem DeliRat Bericht zu erstatten, die
in der Zwischenzeit mit ihren Bezugsgruppen sprachen. Das Signal wurde
gegeben und wir rannten auf die Straße, schickten den Verkehr in beide
Richtungen weg und bauten in der Mitte zwei beeindruckende Barrikaden aus
Baumstämmen, Ästen, toten Bäumen, und anderem Materialien des Waldes. Als
wir damit fertig waren verschwanden wir auf der anderen Seite wieder im Wald
und machten uns mit Hilfe von Kompass und Karten auf den Weg zu unserem
nächsten Ziel.
Dies war die Strategie der Gruppe: Überall entlang einer Straße Barrikaden
zu bauen und dann so schnell wie möglich zu verschwinden, um zu vermeiden,
dass die Polizei uns von Land aus oder aus der Luft entdeckte (wo
unablässig Hubschrauber kreisten). Auf diese Weise arbeiteten wir uns im
Verlauf mehrerer Stunden weit in die Rote Zone vor und vermieden es dabei,
von der Polizei gefunden zu werden, indem wir natürliche Deckung und eine
Reihe gerufener Codes nutzten.
Eine größere Straße wurde mit der Unterstützung des ‚Werkzeug Teams‘
blockiert, die fette Platanen am Wegesrand fällten (offenbar eine Plage,
diese Sycamore Bäume, a pest species [hä… Anm.d.Ü.] was die Blockaden
noch unpassierbarer machte. Als wir die Straße hinuterliefen, um eine
weitere Barrikade zu bauen, kamen 3 BMW Bullenwagen (wie sie die höheren
Ränge der Cops fahren) angeheizt, und zu Anfang gerieten die Leute in
Panik. Sekunden später jedoch wurden sie beruhigt und wir bauten eine
zweite Barrikade, die 3 Autos saßen dazwischen in der Falle. Damit wollten
wir sie davon abhalten uns zu folgen, aber wir wußten, dass es mit unserer
Unsichtbarkeit damit vorbei war und dass wir von nun an vorsichtiger sein
mußten.
Etwa um 4 Uhr nachmittags kamen wir am Rande des Waldes an einer
Touristenkarte mit „Sie befinden sich hier“ Hinweisen vorbei, die von einem
früheren Passanten freundlicherweise um einige Details zu Polizei und G8
erweitert worden war. Wir befanden uns nun bei der Ortschaft Wittingbeck.
Für zwei Kilometer würden wir uns nun außerhalb vom Schutz des Wald
bewegen. Ein Delitreffen wurde abgehalten mit dem Ergebnis, dass ein Drittel
der Gruppe umkehren und der Rest weiter nach Heiligendamm ging. Unsere
Begegnung mit den Polizei BMWs lag zu dieser Zeit eineinhalb Stunden
zurück, und seither waren uns keine weiteren Widrigkeiten begegnet, was
möglicherweise an der komischen und unvorhersehbaren Route lag, die wir
gewählt hatten. Weiter ging´s, langsam durchs Dorf, bemüht darum so
unverdächtig wie möglich zu wirken. Plötzlich erschien eine Menge
Polizeibusse auf einer Durchfahrt zu unserer Rechten. Als sie uns sahen,
verzogen sie sich sofort, scheinbar hatten sie Angst. Wir nutzten die
Gelegenheit und bauten eine Barrikade aus Betonblöcken, Holzplanken und
Backsteinen vor ihnen, so dass sie aus der Durchfahrt nicht mehr rauskamen.
Einge waren geflüchtet als sie die Bullenbusse sahen, was unsere Zahl noch
mal reduzierte, wir waren jetzt noch etwa 30.
Danach kam „Verstärkung“. Aus einer Seitenstrasse erschien eine Gruppe
schwarz gekleideter Individuen, bewaffnet mit Eisenstangen und Taschen
voller Steine. Unser Bemühen uns unauffällig durch das geschäftige
Örtchen zu bewegen war damit gelaufen und Sekunden später kam ein ganzer
Zug Bullen um die Ecke, vermutlich gerufen von ihren in die Falle gegangenen
KollegInnen, und alles war vorbei. Als die Bullen auf uns zurasten
schleuderten unsere schwarz gekleideten GenossInnen Steine und Backsteine
und schlugen mit den Eisenstangen auf die Scheiben der vorbeifahrenden
Bullenautos ein. Die meisten aus der Gruppe fanden es nun am besten über
ein angrenzendes Feld die Flucht zu ergreifen (wo große nervöse Pferde wie
verrückt umher gallopierten). Die Anzahl der Polizisten die nun erschien
war überwältigend.
Zwei meiner GenossInnen und ich versuchten die Ruhe zu bewahren, wir gingen
weiter as ob nichts geschehen sei (zu diesem Zeitpunkt sahen wir
„nicht-bedrohlich“ aus). Wie auch immer nutzte diese Strategie nichts, denn
wir wurden angehalten, auf deutsch angebrüllt, herumgeschubst, gefesselt
und weggebracht. Das selbe Schicksal teilten unsere GenossInnen auf den
Feldern Minuten später, als sie von allen Seiten von hunderten Riot-Cops
umstellt wurden.
Die Haft
Während wir zu Beginn Handschellen trugen, bekamen wir später Kabelbinder
verpasst, da es mehr und mehr Festnahmen gab und die Luxusvariante langsam
knapp wurde. Sie ließen uns ein Stunde auf dem Gras sitzen und in der
knallenden Sonne braten, es war uns nicht erlaubt mit irgend jemanden zu
sprechen. Gegen 6 Uhr abends wurden wir in verschiedene Gefangenenbusse
verfrachtet und gewaltsam gestossen, sobald sich irgendwelche Verzögerungen
daraus ergaben, dass sämtliche Anweisungen nur auf deutsch erteilt wurden.
Wir wurden zur Gefangenensammelstelle (GeSa) in Rostock gebracht, eine
Entfernung von 25 km, die zu überwinden merkwürdigerweise 2 Stunden
dauerte! Ich glaub, sie waren abgeschlafft.
Sobald wir ankamen wurden wir „behandelt“ (unsere persönliche Daten
aufgenommen) und dann eine nach dem anderen in große weiße Käfige
gebracht (5m x 3m x 3m), mit offenen Seiten, aber weißen Laken schirmten
die Käfige voneinander ab, um die KOmmunikation zwischen den Insassen zu
erschweren (ich werde im Folgenden von ihnen von „GenossInnen“ sprechen).
Mehr und mehr GenossInnen kamen an, bis jeder der Käfige etwa 15
BewohnerInnen hatte. In den Käfigen gab es keine Ausstattung, nichts auf
dem man schlafen konnte außer dem Betonfußboden. Wir stellten einander
vor, die Atmosphäre war herzlich und solidarisch, aber wir waren auch sehr
müde.
Die Käfige waren nach Geschlechtern getrennt, und es war in den Käfigen
der Frauen, in denen es den lautesten und kontinuierlichsten Protest gab, wo
elementare Rechte gefordert wurden: Essen, Wasser, Telefonanrufe,
AnwältInnen und ÄrztInnen. Diese Proteste wurden nahezu komplett
ignoriert, lediglich Essen (eine Scheibe Brot) und Wasser wurden gebracht,
und auch das nur gelegentlich.
Mittwoch Nacht
Um elf Uhr nachts wurde ich dem Haftrichter vorgeführt, der mir nach
Prüfung der Umstände meiner Festnahme verkündete, dass ich bis Samstag
Mittag im Gewahrsam bleiben werde. Meinem Anwalt und mir wurde kein privater
Raum zur Verfügung gestellt, ein klarer Rechtsbruch, der meine elementaren
Rechte verletzte. Einen Anruf usw. hatte ich noch immer nicht machen
können. Der Richter garantierte vor meinem Anwalt und dem Übersetzer, dass
ich meinen Anruf unverzüglich werde machen können. Das Versprechen wurde
erst weitere 15 Stunden später wahr.
Während der Nacht wurden sämtliche Versuche zu schlafen dadurch zunichte
gemacht, dass GenossInnen permanent und ohne Sinn von einer Zelle in die
nächste gebracht wurden. Ich wurde drei mal verlegt und das war typisch.
Jedesmal dann, wenn ich es gerade geschafft hatte, die Schwelle der
Unbequemlichkeit zu überwinden und eingedämmert war. Es war ganz klar ihr
Ziel uns mental auszupowern, die GenossInnen körperlich und mental zu
schwächen für die kommenden Vernehmungen usw. Ich forderte ununterbrochen
meinen Anruf, die Forderungen wurden auf unverschämte Weise ignoriert. Zu
unterschiedlichen Zeiten hörte man von verschiedenen Orten und Etagen des
Gebäudes die Schreie der Frauen, gelinde gesagt ein zermürbendes Gefühl.
Um 5:30 Uhr wurde ich aus meiner Zelle gerufen. Ich war es müde unablässig
verlegt zu werden, und hatte von anderen gehört, dass ihnen Fingerabdrücke
genommen worden waren. Ich weigerte mich zu kommen, solange mir nicht der
Grund dafür ganannt werden würde. Mir wurde kein Grund genannt, und nach
meiner Weigerung und der Solidarität meiner GenossInnen ging der Beamte, um
sogleich mit zwei bewaffneten Bullen zurückzukommen, die mich gewaltsam
mitnahmen. Das Gesetz in der BRD sagt, dass du nicht zur Abgabe deiner
Fingerabdrücke verpflichtet bist, dass du dich aber nicht mit Gewalt dem
Versuch widersetzen darft, sie dir abzunehmen. Drei Männer hielten mich
fest, während ein Cop jeden meiner Finger aufs Blatt drückte. Dies war
durch und durch eine Ohnmacht verbreitende Erfahrung und sie wäre noch weit
traumatischer gewesen, hätte ich nicht durch die Erschöpfung die ganze
Zeit in einer Art Halbschlaf verbracht.
Donnerstag
Die Stunden zogen sich hin, noch immer wurde mir der Anruf nicht gewährt
und die Hitze in den Käfige stieg immens. Gegen 14:30 Uhr forderten ein
Genosse aus Brighton und ich, nachdem wir von einem englischen Anwalt die
Information erhalten hatten (von einem Handy, das wir eingeschmuggelt
hatten) mit einem höheren Beamten zu sprechen. Wir waren darüber
informiert worden, dass es illegal sei, uns als nicht-deutsche
EU-BürgerInnen weiter festzuhalten und dass wir das Recht hätten
freigelassen zu werden, sobald unsere Daten festgestellt und bestätigt
wurden. Sobald wir das mitgeteilt hatten, wurde uns sofort ermöglicht zu
telefonieren. Ich rief den EA und das irische Konsulat an und erklärte
beiden die rechtliche Situation und die Bedingungen. Das Konsulat sagte mir
Hilfe zu, aber ich möchte betonen, dass sie trotz der höflichen Worte am
Telefon überhaupt KEINE Hilfe waren. Sie schickten mir gerade mal eine
Liste mit englisch sprechenden AnwältInnen in der BRD zu, obwohl ich ihnen
deutlich gesagt hatte, dass ich bereits einen kompetenten Anwalt habe. Nach
dem Anruf wurde ich zurück in meinen Käfig gebracht, von wo ich aber schon
5 Minuten später wieder abgeholt wurde, diesmal zum Gericht nach Rostock,
wo der Einspruch verhandelt wurde, den ich am Abend zuvor gegen die
Entscheidung des Richters eingelegt hatte.
Die vier „Gründe“ (nicht einmal Anklagen) um mich in vorbeugendem Gewahrsam
zu halten:
1. In einer Gruppe gewesen zu sein, in denen andere schwarz gekleidet waren
2. In einer Gruppe gewesen zu sein, in der andere maskiert waren (Ich trug
zu diesem Zeitpunkt keine Gesichtsmaske, und war bis auf mein T-shirt nicht
schwarz angezogen)
3.Zugegen gewesen zu sein, als ein Zaun zerstört wurde (Ich hatte den Zaun
aufgrund fehlender Fluchtmöglichkeiten und der durchgedrehten Pferde nicht
überquert)
4. Eine Gefahr für den deutschen Staat zu sein
Daher, um zu verhindern, dass ich diese oder andere Straftaten während der
kommenden 4 Tage begehen würde, sei es gerechtfertigt mich bis Samstag
einzusperren.
Ich wurde zum Amtsgerich Rostock gebracht, wo wir eine ganze Weile draußen
auf dem Flur warteten. Während dieser Zeit versuchten die begleitenden
Polizeibeamten Informationen aus mir heraus zu holen. Ich sagte ihnen, dass
ich keine Fragen beantworten werde, solange mein Anwalt nicht dabei sei und
beantwortete alle weiteren Fragen mit „Kein Kommentar“. Sie wendeten
absehbare Techniken an, wie mir zu sagen „Jetzt wirst du für 10 Monate in
Deutschland bleiben“, um mir dann zu sagen, dass WENN ich ihnen sagen
würde, was passiert war, sie mir vielleicht helfen könnten, das zu
vermeiden. Das ging etwa eine halbe Stunde so weiter bis der Richter auf dem
Flur erschien und die Polizisten verstummten.
Mir wurden 10 Minuten gewährt, die Angelegenheit mit meinem jungen Anwalt
zu besprechen. Dann trugen wir dem Gericht unseren Fall vor, warum es
illegal sei mich bis Samstag festzuhalten. Wir beschrieben im Detail die
Bedingungen, die Tatsache, dass ohnehin keine der Anklagen von der Polizei
bewiesen werden kann, und dass mir 15 Stunden lang kein Anruf gewährt
worden war, obwohl der Richter dies vor dem Anwalt und dem Übersetzer
garantiert hatte (der dieses Versprechen vor Gericht bekräftigte). Das
Gericht schien beeindruckt und der Haftrichter [police judge] sagte die
ganze Zeit sehr wenig, außer dass die Ressourcen der Polizei stark unter
Druck stünden. An diesem Punkt fühlte ich mich etwas zuversichtlicher. Das
Gericht sagte, es werde sich für eine Stunde zur Beratung zurückziehen und
fragte mich, ob ich bis zur Verkündung der Entscheidung warten wolle, was
ich selbstverständlich mit ja beantwortete. Die Polizei bestand jedoch
darauf, dass ich sofort in die GeSa zurückkehren müsse, und dass sie mich
informieren würden, sobald das Gericht seine Entscheidung getroffen habe.
Ich witterte sofort ein Foul.
Als ich in die GeSa zurückkam wurde ich sofort in eine Einzelzelle
gebracht, weg von all den anderen GenossInnen, in eine Zelle mit vier
weißen Wänden und einer Toilette und sonst nichts.Für 6 Stunden hörte
ich nichts, außer dem gelegentlichen Schluchzen und manchmal hysterischen
Schreien eines anderen Genossen, der das gleiche Schicksal wie ich erlitt.
Nach einer Weile springen dich die weißen Wände und die Langeweile an.
Gegen 10 Uhr abends kam ein deutscher Genosse, den sie auch vereinzelt
gehalten hatten – wir waren unglaublich froh uns zu sehen und miteinander zu
reden. Es ist unbeschreiblich, wie sehr du dich langweilst, wenn du da mit
dir alleine bist, und wie unbezahlbar es ist, wieder einen anderen Menschen
in deiner Umgebung zu haben, selbst nach einer so kurzen Zeit alleine.
Nach einer langen Unterhaltung fielen wir auf unseren Betonbetten in Schlaf
bis wir um 3:30 unfreundlich geweckt wurden. Wir wurden zum Gefängnis
Butzau transportiert, über hundert Kolimeter und eine Welt weit weg, und
trotz meiner Proteste (mit der Hilfe meines Genossen auf deutsch) darüber
die Entscheidung des Gerichts zu hören, bevor ich gehe, wurde ich ins
Hintere eines Vans verfrachtet und eilig fortgebracht. Wir kamen gegen 5 Uhr
morgens im Gefängnis an und wurden dort zusammen mit einigen deutschen und
französischen Genossen „abgefertigt“. Danach wurden wir in unsere Zellen
gebracht, die absolut baufällig waren, und die wenige Verbesserungen seit
der Zeit ihres Baus 1835 gesehen hatten. Wie dem auch sei, dort gab es
richtige Betten, ein Luxus, den man in Rostock nicht finden konnte, und wir
schliefen wie Babies für Stunden und Stunden.
Den ganzen Freitag verbrachten wir in der Zelle, ohne eine Möglichkeit uns
zu bewegen oder an die frische Luft zu kommen. Der Flügel in dem wir waren
war nur für Anti-G8-Protestierende reserviert, um uns von der großen
faschistischen Knast-Bevölkerung fernzuhalten, oder eher sie von uns. Mein
Zellengenosse Gerome wurde Freitag abend zusammen mit einigen anderen
irischen Arrestanten freigelassen, aber vorher mussten sie noch eine weitere
Schlacht schlagen, die unentschieden ausging, als eine Horde Faschisten sich
sammelte, bevor die Polizei kam, um den Weg nach draußen zu sichern.
Nachdem wir viel geschlafen hatten und ich mit meinem französischen
Genossen Jeremie über alles nur erdenkliche unter der Sonne geredet hatte,
das ich mit meinem begrenzten französisch und er mit seinem ähnlich
begrenzten englisch ausdrücken konnte, wurde ich Samstag mitteg entlassen,
Jeremie konnte wenige Stunden zuvor gehen. Draußen wurde ich von
freundlichen Lefties empfangen, auch von meinem Freund Sean, der in der
Nacht zuvor entlassen worden war. Es gab was zu essen und zu trinken und ein
Auto, um scheiße noch mal von da weg zu kommen.
Ich verpasste zwei Flüge raus aus Deutschland und fuhr letztlich am Montag.
Das war es wert: Fuck the G8!
Teil des anarchistischen Blocks
wsm.ie
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Übersetzung eines G8-Auswertungspapiers zweier GenossInnen, die in Kanada leben und kämpfen
Es waren die über 200 Reihen in Ketten laufender Leute, jeweils 8 bis 12 in einer Reihe und eine Genossin aus Berlin, die mir zuflüsterte „wegen der Greiftrupps“, die meine schlafenden Gedanken über den ‚black bloc‘ wieder erweckten. Der schwarze Block ist sehr lebendig in Europa. Den recht erfolgreichen Fähigkeiten dieser AntikapitalistInnen zusammenzukommen und wütend zu werden ist es zu verdanken, dass es während der letzten Jahre überall auf dem „alten Kontinent“ Riots gab. Viele. Und bei den Anti-G8-Protesten der vergangenen Woche waren Riots das Gesprächsthema bei einer ganzen Menge Leute. Die verschiedenen communities, Kollektive, Föderationen und Gruppen von Autonomen und AnarchistInnen, die sich in Reddelich versammelten und trafen – dem ‚radikalen‘ Camp wenige Kilometer entfernt von dem Ort, an dem sich die Oligarchen der G8 trafen – brachten ihre Erfahrungen und Gedanken zum Thema ein, Nationalitäten wurden zum strategischen Aspekt.
Voller Stolz teilten die „totos“ aus Frankreich ihre Erlebnisse darüber mit den anderen, wie es losging mit dem spontanen Widerstand nach der Wahl Sarkozys, der zum Abfackeln von mehr als 100 Autos führte, über die Riots in den Banlieus und über die Kämpfe gegen die CPE. Leute aus Griechenland erzählten ihre Geschichte über die grimmigen Schlachten um die Universitäten in Athen und die verschidenen Blockaden, die sie gegen den Staat errichteten. Scharen von KämpferInnen, die gerade aus Kopenhagen gekommen waren erinnerten die Leute daran, dass die Straßenschlachten auch zwei Monate nach Räumung des Ungdomshuset weitergehen und nach Samstag, dem 2. Juni in Rostock konnten die Deutschen einen weiteren Riot in ihren Kanon aufnehmen, sowie einen fast stattgefundenen Plan B(erlin) Riot am Freitag, den 8. Leider konnten wir von den kleinen nordamerikanischen Brigaden nur sehr wenige Erfahrungen beitragen.
Die Gelegenheit an der Schocktherapie eines Aufruhrs teilzunehmen war offenkundig Anreiz genug, um in der vergangenen Woche gegen den G8 zusammen zu kommen, was aber vor dem Hintergrund geschieht, dass AnarchistInnen dazu in der Lage sind, kollektive Berichte über ihre Erfahrungen des letzten Jahres zu geben. Daraus vorsichtig Schlüsse daraus zu ziehen und zugleich unmittelbar zur Tat zu schreiten. Die ersten Demonstrationen und ‚Ausbrüche‘ kamen aus der Überlegung, welche Methoden gegen die deutschen Cops angewendet werden können, aber vor allem welche Strategien von den verschiedenen Stämmen verwendet werden – den Briten, ItalienerInnen, FranzösInnen, Deutschen, usw. Die Debatte kreiste nicht länger um abstrakte Szenarien, sondern kamen aus absolut realen Erfahrungen.
Für einige beendete der Riot den Mythos, dass die deutschen ‚Autonomen‘ verschwunden seien, jene behelmten Rebellen der 80er, während für andere bereits die beeindruckende Geschlossenheit des ‚deutschen‘ Blocks mit seiner eindrucksvollen defensiven Formation ausreichte (die in vielen der anderen wilden Teams fehlte, und die daher über die Lücken und Löcher in ihren Reihen einfach aufgebrochen werden könnte). Wie auch immer, die vielen hunderte unserer deutschen GenossInnen hatten ein so großes maskiertes Kontingent für viele Jahre nicht gesehen. Es ist kein Zweifel daran, dass sich einiges getan hat an der internationalen Front zwischen dem black bloc und den verschiedenen Polizeiapparaten samt jenen, die sie beschützen.
Was könnte solche Veränderungen bewirkt haben? Wenn die Repression nach dem 11.September in der ein oder anderen Form zu einer Ablehnung offensiver Taktiken in den letzten Jahren geführt haben könnte, wie verstehen wir dann das plötzliche und entschlossene Wiederaufleben dieser Praxen? Werden nicht auch in Europa Methoden der Kontrolle auf historisch noch nie dagewesene Weise angewendet? Es scheint wichtig zu fragen, weshalb Nordamerika wieder einmal nicht dazu fähig ist, sich dieser wiedergewonnenen Begeisterung für Riots anzuschließen.
Es ist eine Weile her, dass wir in Kanada zu einer ‚black bloc‘ Demo gefahren sind, sei es eine die explizit dazu aufgerufen hatte, wie die „Take the Capital“ Demo 2002 oder solche, in denen implizit nahegelegt wurde sich in schwarz zu kleiden und sich mit den wütenden Brüdern und Schwestern zusammenzutun, wie es 2004 bei der von Clac Logement organisierten West mount Demontration der Fall war (möge Euer Revival flott und nutzbringend vonstatten gehen!). Sicherlich hat es überall in Kanada umherwirbelnder Krümel von Riot und Widerstand gegeben in den letzten 6 Jahren – einige Punks zerschlugen am letzten 15 März nach der alljährlichen COBP Demo gegen Polizeigewalt einige Scheiben, aber es gab da sicher nicht die unausgesprochene Übereinkunft in den Köpfen der AnarchistInnen zusammen zu kommen, wütend zu werden und die Taktik zu benutzen „im Herzen des Kapitalismus zuzuschlagen und ihnen gehörig Angst einzujagen“, wie ein leidenschaftlicher Italiener es auf einem der häufigen 100-Leute+ Plena autonomer Bezugsgruppen formulierte. Diese Zeit scheint an uns vorbei gegangen zu sein, keine Ahnng warum. Ein Grund dafür liegt, so nehmen wir an darin, dass der Diskurs ein so strenger geworden ist, und dass die Gespräche darüber nicht stattfinden, weil die Leute nicht wirklich daran glauben, dass die Möglichkeit besteht. Selbst beim StudentInnenstreik 2005 mit den nächtlichen Barrikaden vor CEGEP Vieux Montréal und den verschiedenen Blockaden und Besetzungen können wir uns nicht an Überlegungen erinnern, einen Riot zu beginnen. Brennende Autos und Kämpfe mit den Bullen in Kanada? Nun, da hat es Queens Park und Quebec City gegeben (die freilich niemand von uns je als Plan Q bezeichnete) aber diese Ereignisse scheinen uns zu weit entfernt in der Erinnerung zu liegen, um darauf aufbauen zu können. Wie können wir, kollektiv oder individuell, klar machen, dass der Kapitalismus und das ganze System, dass ihn am Leben erhält unsere Seelen auffrisst und Millionen Menschen auf der Welt umbringt? Der nationale Mythos der moralischen, freundlichen und vor allem friedfertigen Kanadier lässt sehr wenig Raum, um Zorn und Wut zu artikulieren.
Nach Genua schien die Perspektive Riot für die meisten Anti-KapitalistInnen auf der Welt außer Reichweite zu liegen. Aber voilà! Nur einige Jahre später, und trotz einer bis dahin ungekannt erdrückenden Polizeipräsenz, scheint die Bewegung ihre Fähigkeit, den Riot als eine Taktik zu nutzen wiedergefunden zu haben. Der Gedanke drängt sich auf, dass die verschiedenen Dispositionen im Umgang mit dem gegenwärtigen gesellschaftlichen Klima unmittelbar mit der Repression zu tun haben, die verschiedene Organisationsformen auf sich ziehen. Es gilt, eine Verbindung herszustellen zwischen den verschiedenen Formen, in denen wir uns organisieren, den Arten von Beziehungen, die wir leben und unserer Disposition zu Riots.
Ein Riot führt uns zu bestimmten Typen von Verbindungen, die von grundlegender Bedeutung für seine Durchführung sind. Der Modus der spontanen Organisierung in kleinen Bezugsgruppen – und da ist der black bloc nur eine der möglichen Manifestationen – können wir im Herzen einer jeden stürmischen Straßeneroberung finden, sei es vor kurzem in Algerien oder in den Banlieus von Frankreich. One Zweifel haben Bezugsgruppen (wie eine Bande von FreundInnen) nie aufgehört, das zentrale Mittel der Organisierung im Alltag der Mehrheit der AnarchistInnen in Nordamerika zu sein. Aber sie scheinen ihren Inhalt verloren zu haben, nämlich eine organisatorische Form zum Starten und Weiterentwickeln einer revolutionären Perspektive zu sein. Wann sind wir soweit uns mit der Tatsache auseinanderzusetzen, dass Bezuggruppen nicht wirklich über kollektives Leben, Freizeit und – wenn mensch Glück hat – emotionale Unterstützung hinausreichen? Vielleicht wurde dieser Oganisationsform ihre Stärke mit den scharfen Repressionsschlägen genommen, die viele Radikale zu spüren bekamen, und die Bedingungen schufen, die viele Leute dazu brachten Modelle zu bevorzugen, die weniger auf direkte Konfrontation ausgerichtet sind. Mehr hin zu Organisationen und Modellen, die formaler und ‚offener‘ sind, geschaffen nach dem Vorbild der Strukturen „anti glob-Militanten“ – in der Hoffnung nicht verprügelt zu werden. Auch die häufig existierende Idealisierung von Plenumsstrukturen schafft keine Voraussetzungen dafür, die Taktiken des Riots weiterzuentwickeln. Diese Entwicklungen innerhalb des „Aktivismus“ scheinen auf dem Kontinent im Osten des Atlantik nicht gleichermaßen auf Resonanz gestoßen zu sein. Vielleicht liegt es an der längeren Tradition autonomer Bewegungen, der verbreiteteren Kritik an radikaler Demokratie und daran, dass es mehr Gruppen gibt, die als Kooperativen zur gegenseitigen Hilfe geschaffen wurden (extreme Linke, Situationalisten). Das schnelle Wiederaufleben des Schwarzen Blocks auf diesem jüngsten G8 Gipfel ist das Ergebnis starker Bemühungen jene Art von Beziehungen wieder zu etablieren, die nötig sind, damit er funktioniert, und diese Beziehungen wieder stark zu machen. Bezogen auf Riots verwirklicht sich in diesen Beziehungen der Krieg, in dem wir uns befinden ebenso wie die Form des Kampfes. Diese Positionierung erfordert eine Organisierung um eine Offensive auf die Straße zu bringen, die nicht länger nur symbolisch ist, damit wir nicht in der standartisierten Form der ‚Demonstration‘ steckenbleiben.
Wie die Liebe kann uns ein Riot manchmal überraschen, wenn wir denken, dass wir nicht darauf vorbereitet sind. Aber mit einer Disposition zur Liebe, wie zum Riot, wird es immer möglich sein Gelegenheiten und Situationen zu nutzen. Es wäre vergeblich zu sagen, dass wir einen Riot vorbereiten, aber wir können uns zumindest auf Riots vorbereiten: tun was nötig ist um das Feuer zu entzünden.
Wenn das Picknick der globalen Eliten uns weiterhin der Vorwand für Treffen, Grüße und Konfrontationen bleibt, scheint Ambivalenz irgend einer Art nicht länger möglich: einfacher Antiglobalisierungsaktivismus ist nicht länger akzeptabel. Mensch kann nicht länger dabei stehen bleiben, dass eine andere Welt möglich ist sondern muss Ideen und Aktionen weiterentwickeln für eine „Welt, die antagonistisch ist, weill sie nichts mit diesem destruktiven System zu tun haben will“. Keine leeren, empört linken Forderungen mehr sondern reale Zusagen. Wir haben das Gefühl, dass die Unklarheiten in der anarchistischen Bewegung Quebecs abnehmen. Wir berühren das Ende eines Zyklus, und wir müssen Formen finden oder wiederentdecken, neue Verbuíndungen schaffen. Wir können nicht länger die Fragen vermeiden, die sich darum drehen eine offensive Position einzunehmen.
Als jüngst bei Blockaden der 6 Nations, in Tandenagah und Grassy Narrows [indigener Nationenverbund und First Nations Gemeinden] Forderungen gestellt wurden, die allen, die über ein grundlegendes Verständnis der Kolonialisierung der Schildkröteninsel verfügen als legitim erachten, wurde dies in einer rassistischen, unsensiblen, a-historischen und barbarischen Weise von den korporierten Medien dargestellt. Die Mainstream-Linke blieb im großen und ganzen bei ihrem Schweigen über diese ernsthaften Versuche, die unaufhörliche Gier des Kapitalismus zu kritisieren und zu zügeln. Von anti-kapitalistischer, radikaler und anarchistischer Seite gab es konzertierte Anstrengungen Verbindungen und Beziehungen aufzubauen, in Solidarität mit diesen Gemeinden zu arbeiten, aber ich habe keine Soli-Aktion besucht, wo es die zugrundeliegende Absicht gewesen wäre, es zurück zu nehmen und das Establishment mehr als nur ein bißchen zu verunsichern.
Plan B(erlin) war die Entscheidung verdammt noch mal aus den demobilisierenden Feldern und Wäldern rauszukommen und den Kampf in die Stadt zu tragen. Während der Zeit des G8 flogen permanent 9 Hubschrauber über uns, hunderte Panzer, Hunde, Pferde, tausende PolizistInnenm, ein Kampfjet und eine unbekannte Menge an Polizeispitzeln kamen hinzu zum massiven Zaun, der die Mauer von QC im Vergleich zu einem Architekturprojekt in der Unterstufe degradiert. Plan B führte nicht zu einem Riot am Hackeschen Markt. Aber er führte dazu, dass sich die reichen TouristInnen, Locals und HändlerInnen in dieser nouveau ultra yuppie area in Ostberlin äußerst unwohl fühlten, einer Gegend, wo noch vor 17 Jahren Squats und Couches zum Ausruhen bei nächtlichen Straßenparties einluden. Dank Gentrifikation ist diese reiche Geschichte des Kiezes kaum mehr zu finden zwischen dem heutigen Häagen-Daaz Shop, dem Mercedes Benz Showroom und glitzernden Klamottenläden. Statt eines Riots hatten wir einen über uns in der Luft stehenden Helicopter und hunderte PolizistInnen aus Stadt und Land. Bei einem Verhältnis von 1:1 von Black Blockers und Cops wäre es eine Selbstmord-Mission gewesen, den Riot zu beginnen. Und sie sind es, die die Waffen haben. Aber von 9 Uhr abends bis 3 Uhr am Morgen herrschte in diesem Teil der Stadt nicht das ignorante Leben dieses wunderschönen Gefühls von Bling-Bling und Konsum bis zum Erbrechen so vieler vergleichbarer upper class Bezirke rund um die Welt. Nein. Es gab dort den beissenden Geruch des Widerstands; dass dieses System nicht funktioniert und die Menschen nicht still sein werden. Vielleicht war Plan B nicht der utopische totale Riot, wo die AnwohnerInnen und ArbeiterInnen herauskommen und ‚die Massen‘ auf die Straße strömen, aber als ich gestern ein wenig im alten TV den italienischen Brüdern uns Schwestern beim Entzünden des Streichholzes beim Bush-Besuch in ihrer Stadt zusah (bravo!), erzählte mir ein Genosse aus Polen, dass, ja, 14 am Freitag abgefackelte Autos besser sind als keins, was mir eine willkommene Überraschung war.
Bald wird es in Quebec einen weiteren StudentInnenstreik geben. 2010 wird es in Kanada einen weiteren G8 geben, im gleichen Jahr sind die Olympischen Spiele in British Columbia. Werden Radikale und AnarchistInnen darüber reden Riots zu organisieren? Werden wir schwarz tragen und Ketten bilden, um sicherzugehen, dass die Polizei nicht in unsere Reihen bricht und einen von uns mitnimmt?
Noch ist Zeit darüber nachzudenken, aber wir können uns nicht auf alle Ewigkeit raushalten. Die Situation ist viel zu kritisch. Neue Methoden halten Einzug in unsere Praktiken, und es gibt Theorien und Studien, die uns schon mal in die Sprünge hineinlugen lassen, die sich bald auftun werden. Was sich in Frankreich aufgeheizt hat uns kürzlich überkochte war in geringerem Ausmaß schon vorher in verschiedenen Texten und Aktionen zu spüren. Man muss nicht jede Publikation ansehen, es braucht keine Hirnoperation um festzustellen, dass es ein zunehmendes Interesse an lang vergessenen Personen wie Blanqui gibt, einem Agaitator und befürworter des Riots aus dem 19.Jahrhundert, der vor kurzem mit einem neuen Vorwort wieder veröffentlicht wurde, was seine Ideen in einem neuen Licht erscheinen lässt. Auch gibt es den Bestseller, den die Leute vielleicht wegen seines sexy Titels „Der kommende Aufstand“ [The insurrection to come] kaufen und auch darüber reden. In Québec wurde gerade die neueste erweiterte Ausgabe von „Les Black Blocs“ von Francis Dupuis-Déri von der Lux Edition herausgegeben, und in Toronto wird A.K. Thompson bald „Black Bloc, White Riot: Anti Globalization and the Genealogy of Dissent“ veröffentichen, beides Bücher, in denen die Diskussion von Taktiken im kanadischen Kontext im Mittelpunkt steht. Wir hoffen sehr, dass dies eine Debatte und Diskussion über Strategie und Taktiken anregen wird. Wir sagen es oft, wir leben in the belly of the beast, im Herzen der Bestie. Wir müssen uns fragen, was es dazu braucht, dass wir wütend werden und kämpfen? Wen es nicht der Riot in den Straßen ist, was ist es dann? Wenn die Zeit des Black Bloc in Kanada tot ist, was wird an seine Stelle treten? Oder sehen wir zu, wie unsere Schwestern und Brüder in Europa die Reichen und das Establishment nervös machen, ohne uns?
Herzlichst,
zwei companer@s aus der Calisse Brigade
10. Juni 2007
Zum Weiterlesen:
‘Maintenant, If faut des armes’, Auguste Blanqui,
Réédité par la Fabrique Éditions, Paris, Févririer 2007
L’insurrection qui vient, par Le Comité Invisible,
La Fabrique Éditions, Paris, Mars 2007
Les Black Blocs’ par Francis Dupuis-Déri
Lux Edition, Montréal, May 2007
‘Black Bloc, White riot: Anti Globalization and the genealogy of dissent’, by AK Thompson
To be published, Toronto, September 2007
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