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(Anti-)Repression Weltweit

Anti-Terrorismus-Ermittlungen gegen die sogenannte 'mouvance anarcho-autonome' in Frankreich: Einblicke, Ausblicke, Fragen und einige Antworten auf die Repression

Das Konstrukt der ‚mouvance anarcho-autonome‘
Die Festnahmen vom 11. November in Tarnac in Frankreich und die mediale Inszenierung dieser neuen Anti-Terrorismus-Ermittlungen schreiben sich in einen politischen Kontext ein, in dem die französische Innenministerin, Michelle Alliot-Marie, seit Amtsantritt im Mai 2007 nicht müde wird, bei jeder Gelegenheit „die Risiken einer gewaltsamen Wiederkehr der Linksextremen“ zu thematisieren.
In einem Interview mit der konservativen Tageszeitung Le Figaro im Februar 2008 wird sie mit einer zu diesem Zeitpunkt für die meisten Menschen in Frankreich überraschenden und auch sonderlich anmutenden Erklärung deutlich: „Prävention ist das beste Mittel zur Bekämpfung von Kriminalität im Allgemeinen und Terrorismus im Speziellen. Sie ist der beste Schutz. Seit meinem Amtsantritt wünsche ich eine solche Strategie und habe den Staatsschutz angewiesen, besonders dieses Phänomen zu beobachten. Es handelt sich um einige dutzend Personen, die in informellen Kleingruppen organisiert sind und über eine recht wenig ausgearbeitete Ideologie verfügen. Sie zeichnen sich durch die Verweigerung jeglicher demokratischer Meinungsäußerung und einen von Gewalt geprägten politischen Diskurs aus.“
Die ‚mouvance anarcho-autonome des Großraums Paris‘
Im Januar 2008 nimmt eine Reihe von Festnahmen ihren Anfang, die dem
Staatsschutz dazu dienen, dieser angeblichen Gefährdung ein Gesicht zu geben : ‚die anarcho-autonome Bewegung‘.
Ivan und Bruno werden auf dem Weg zu einer Demonstration gegen das
Abschiebegefängnis in Vincennes kontrolliert und in polizeilichen Gewahrsam genommen, weil bei ihnen selbstgemischtes Rauchpulver und verbogene Nägel gefunden werden.
Wenig später werden Isa und Farid bei einer Straßenkontrolle angehalten, in ihrem Auto werden Chlorat und Pläne eines Jugendgefängnisses gefunden. Auch sie kommen in Untersuchungshaft.
In den folgenden Monaten werden Damien und Juan festgenommen. Sie und auch Isa werden verdächtigt, in der politisch recht aufgewühlten Zeit der letzten Präsidentschaftswahlen im Juni 2007 einen Brandsatz unter einem Polizeiabschleppfahrzeug (frz. la dépanneuse) vor dem Präsidium des 18ten Arrondissment in Paris deponiert zu haben. Dem Untersuchungsrichter zufolge sollen Spuren ihrer DNA, gegen ihren Willen entnommen, auf dem Brandsatz festgestellt worden sein.
Im April 2008 werden die verschiedenen Fälle zu einer Anti-Terrorismus-Ermittlung zusammengefasst, die sich sodann gegen eine angebliche ‚anarcho-autonome Bewegung des Großraums Paris (kurz MAAF)‘ richtet. Dieses polizeiliche Sprach-Konstrukt, im politischen Diskurs und in der Presse immer wieder aufgegriffen, ermöglicht weitreichende Überwachungs-maßnahmen und Beschuldigungen von politischen Aktivist_innen sowie sich daraus ergebende Untersuchungshaft. Diese dauert für Damien und Juan bis heute, Isa ist seit Anfang Februar nach einjähriger Haft draußen, Farid, Ivan und Bruno blieben drei und vier Monate in Untersuchungshaft. Die vier wurden nur unter strengen Auflagen (Meldeauflagen, Kontaktverbote, Vorschreiben des Wohnsitzes, nächtliche Ausgangssperren, Verbote das Land zu verlassen oder in bestimmte Gegenden oder Städte zu reisen und ähnliches) entlassen, einer Maßnahme, der sich Bruno im Juli 2008 durch Untertauchen entzogen hat.
Die ‚Hakenkrallenfälle‘
Am 11. November 2008 riegeln 150 Polizist_innen aus Anti-Terror-Einheit, Staatsschutz und Kriminalpolizei das kleine Dorf Tarnac im Zentralmassiv ab und durchsuchen einen Bauernhof. Gleichzeitig finden Razzien in Paris, Rouen und dem ostfranzösischen Departement Meuse statt. Insgesamt werden zehn Personen festgenommen. Neun von ihnen werden beschuldigt, einer kriminellen Vereinigung mit terroristischer Zielsetzung anzugehören. Fünf der neun Personen sind außerdem angeklagt, in der Nacht des Castor-Transportes vom 7. auf 8. November 2008 Hakenkrallen an den Oberleitungen von einigen Hochgeschwindigkeitslinien des französischen Bahnnetzes angebracht zu haben, was zu zahlreichen Zugverspätungen führte.
Gegen alle wird nach dem französischen Anti-Terror-Paragrafen ermittelt.
Acht von ihnen kommen unter öffentlichem Druck und unter Auflagen nach und nach frei. Weiterhin in Untersuchungshaft befindet sich Julien. Er wird beschuldigt, Anführer und intellektueller Kopf einer ultralinken anarcho-autonomen Gruppe zu sein, in den Medien gerne auch als „unsichtbare Zelle“ bezeichnet. Auch dieser Name ist frei erfunden, er kann als eine spektakulärere Anlehnung an den Namen „unsichtbares Komitee“ verstanden werden, unter dem das Buch ‚L’insurrection qui vient – Der kommende Aufstand'[1] erschienen ist.
Politische Reaktionen auf die Repression
„La dépaneuse raconte…“[2]
In Solidarität mit den Angeklagten aus den Ermittlungen gegen die ‚anarcho-autonome Bewegung des Großraums Paris‘ wird im Mai 2008 die erste Ausgabe der Broschüre ‚mauvaises intentions‘ (zu übersetzen als ’schlechte Vorsätze‘ oder auch ‚falsche Gesinnung‘, zu finden auf infokiosques.net/mauvaises_intensions) herausgegeben und in großer Anzahl verteilt. Ende Januar 2009 erscheint das Nachfolgeheft. Beide Broschüren beinhalten Texte zur Einordnung der aktuellen Repression in den weiteren politischen Kontext (hierzu eine Übersetzung der Einleitung der ersten Broschüre [3]), Briefe der Gefangenen[4], eine Zusammenstellung verschiedener (teils in anderen alternativen Medien erschienenen) Artikeln, die einen Überblick über Solidaritätsaktionen geben und das polizeiliche und staatliche Werkzeug des Anti-Terrorismus analysieren. In der Broschüre von Mai 2008 finden sich außerdem eine Liste der in den bürgerlichen Medien erschienen Artikel, die die mediale und politische Konstruktion der ‚anarcho-autonomen Bewegung‘ als neuen ‚Feind im Inneren‘ nachzeichnet. Die Broschüre von Januar 2009 legt einen Schwerpunkt auf die verschiedenen politischen Kämpfe, die eng mit den Anschuldigungen verbunden sind, wie die gegen DNA-Karteien als Überwachungswerkzeug und die der sans-papiers und gegen die Abschiebemaschinerie.
Das Kollektiv Kalimero in Paris, das sich als allgemeine Solidaritätskasse für
Gefangene versteht, hat seit den Verhaftungen zu monatlichen Treffen eingeladen, bei denen auch Geld und Briefe für die Gefangenen des Anti-Terrorismus-Verfahren gesammelt und Informationen weitergegeben werden.
Im Vorfeld eines Aktionstages für die Rechte der Sans-Papiers im April 2008 ermunterte ein auf indymedia veröffentlichter Aufruf der ‚Rauchpulver aller Länder und Mischungen‘ dazu, auch weiterhin Demonstrationen mit großzügiger Rauchentwicklung zu begleiten. Im Rahmen der Demonstration am 8. April 2008 in Paris findet dieser Aufruf starkes Echo und auf Transparenten wird die Abschaffung von Abschiebeknästen und die Freiassung von Bruno und Ivan gefordert.
Ebenfalls im April werden in großer Zahl Plakate gedruckt, geklebt und verteilt, die den Terrorismus-Vorwurf als politisches Konstrukt zurückweisen und vielmehr dem Staat täglichen Terror vorwerfen.
Anfang Mai wird eine Radiosendung über die politischen Ereignisse im Mai 1968 des französischen Kultursenders ‚France Culture‘ gestört. In der allgemeinen Unordnung gelingt es den Studiobesetzer_innen, mit dem Verlesen eines Kommuniquees die Aktualität politischen Widerstands in die brave Gedenksendung zu bringen und die Freilassung von Bruno und Ivan zu fordern, bevor sie vom Ordnungsdienst des Senders aus dem Studio gedrängt werden.
Zu einer Solidaritätswoche ohne Grenzen wird vom 9. bis zum 16. Juni 2008 aufgerufen, einer Einladung, der viele Gruppen auf unterschiedliche Art folgen : unangemeldete Kundgebungen, rauchpulverbegleitete Demonstrationen, Steine und Farbeier gegen Einrichtungen von Staat und Justiz, eingeschlagene Scheiben oder abgebrannte Fahrzeuge von an Abschiebungen beteiligten Unternehmen, besetzte Museen, gesprühte Slogans und aufmerksamkeitswirksam platzierte Transparente gab es in Paris, Lyon, Grenoble, Brest, Le Vigan, Lille, Rennes, Brüssel, Montevideo (Uruguay), Santa Cruz (USA), Turin, Genf, Thessaloniki, Moskau, Kiev, Vancouver und in Bizkaia (Baskenland).
Anfang Juli werden bei einer Kundgebung vor dem Gefängnis von Fresnes (in dem zu dieser Zeit Juan einsitzt) Feuerwerkskörper abgeschossen und ein Banner mit der Aufschrift ‚Wie in Vincennes – Feuer und Flamme allen Gefängnissen‘ aufgehängt. Vier Personen werden anschließend festgenommen und wegen Aufruf zur Zerstörung staatlicher Gebäude zu Geldstrafen verurteilt.
Im August 2008 wird im Rahmen des Antirassistischen Camps in Hamburg das
französische Konsulat kurzzeitig besetzt, Banner fordern die Freilassung von Ivan, Bruno, Isa, Juan und Damien und kritisieren die französische Abschiebepolitik.
Vom 17. bis 24. Januar 2009 wird, auch anlässlich eines erneuten Antrags auf Haftentlassung von Isa, zu einer weiteren Solidaritätswoche ohne Grenzen aufgerufen. Diese beginnt mit einer Kundgebung und Feuerwerk vor dem Gefängnis von Versailles und endet am 24. Januar mit einer Demonstration in Solidarität mit den Gefangenen (ausdrücklich auch jenen meist Ungenannten, die im Zusammenhang der regelmäßigen Konfrontationen mit der Polizei in den Banlieues festgenommen werden). Die Polizei kesselt die unangemeldete Demonstration nach wenigen Metern ein und nimmt insgesamt 120 Menschen zur Identitätsfeststellung kurzzeitig fest. 16 Personen bleiben bis zu zwei Tage in Gewahrsam und werden mit Prozessen wegen Widerstand und angeblichem Werfen von Gegenständen auf die Polizei bedacht. Der Staatsschutz ist während der Verhöre präsent und eine Person wird explizit zu ihrer Rolle in der ‚anarcho-autonomen Bewegung‘ befragt.
„Die Tarnac-Solidarität“
Kurz nach den Festnahmen am 11. November 2008 kommt es in dem Wohnort der Festgenommenen, Tarnac, zu einer Dorfversammlung mit über 200 Menschen.
Sie gründen eine erste Soli-Komitee. Kurz darauf schreiben die Eltern einiger Betroffener einen offenen Brief, der das Vorgehen der Polizei scharf kritisiert. Auf Initiative des Verlegers des Buches ‚L’insurrection qui vient‘, Eric Harzan vom linksradikalen Verlag ‚La Fabrique‘, beteiligen sich zahlreiche namenhafte linke Intellektuelle an einer Petition, die die Freilassung der Inhaftierten fordert.
Die linksliberale Tageszeitung ‚Libération‘ entscheidet sich nach einer ersten Phase der Pressehetze gegen die ‚Ultralinken‘ der Kritik am Vorgehen der Ermittlungsbehörden Raum zu geben. Sie veröffentlicht ein vierseitiges Interview mit einem der inzwischen wieder Freigekommenen, Benjamin, und berichtet regelmäßig über die Aktivitäten des Solidaritätskomitees von Tarnac. Auch in der liberalen Zeitung ‚Le monde‘ kommen linke Intellektuelle zu Wort und kritisieren in Feuilletons und Kommentaren die Anti-Terror-Politik im Allgemeinen und das Vorgehen von Politiker_innen, Polizei und Presse gegen die ‚jungen Menschen aus Tarnac‘ im Besonderen.
Dem Aufruf, in allen Städten Solidaritätskomitees zu gründen folgen viele, auch in kleinen französischen Provinzstädten und im Ausland (Deutschland, USA, Griechenland), wo zum Teil auch französische Konsulate und Presseagenturen mit Brandsätzen und Farbeiern angegriffen wurden.
Vom 15. bis 25. Januar werden anlässlich einer Mobilisierungswoche in vielen Städten Konzerte, Lesungen, Theater und Diskussionen organisiert. Am 31. Januar 2009 findet eine zentrale Demonstration in Paris gegen die Anti-Terror-Gesetzgebung und die Kriminalisierung von politischer Aktivität statt, die neben der (gewohnt) großen Menge von Rauchpulver und Feuerwerkskörpern auch von Musikkapellen und einem spektakulär großen Polizeieinsatz begleitet wird.
Unterschiedliche Ausrichtung der Solidaritätsarbeit
Die unglaubliche Medienresonanz, die die Verhaftungen im November 2008 nach sich zog, erklärt sicherlich auch, zumindest zum Teil, die sehr öffentlichkeitswirksame Art der Solidaritätsarbeit, die sich durch seitenlange Interviews inklusive Fotos und Diskussionen über Anti-Terrorismus-Ermittlungen in den wichtigen Feuilletons Frankreichs charakterisieren lässt. Es kommt zu einem recht seltenen Phänomen : Solidaritätsaufrufe verlassen das engere politische Umfeld der Beschuldigten; in den Komitees organisieren sich ebenso die bäuerliche Nachbarschaft der Angeklagten wie auch deren namenhafte Bekannte und Weggefährt_innen, die zu den intellektuellen Eliten verschiedener Länder gehören.
So ist der Ton der Solidaritätsarbeit mit den Beschuldigten vom 11. November (zumindest innerhalb von Frankreich) ein grundsätzlich anderer als der, der nach den ersten Ermittlungen gegen die sogennante ‚anarcho-autonome Bewegung des Großraums Paris‘ angeschlagen wurde. Für die ‚Tarnac-Solidarität‘ spielen die Medien und der ‚Druck der (einflussreichen) Öffentlichkeit‘ eine zentrale Rolle, um dem Vorgehen der Ermittlungsbehörden etwas entgegen zu setzen. Auch auf Grund der Herkunft und der Bildungswege einiger der Beschuldigten werden Persönlichkeiten aktiv, die mit einem eher auf Rechtsstaatlichkeit pochenden Diskurs viel Raum in der Presse einnehmen. Sie nutzen die dünne Beweislage der Ermittlungsbehörden dazu, die Beschuldigten von jeglicher Beteiligung an Aktionen freizusprechen. Sie kritisieren das skandalöse Vorgehen der Ermittlungsbehörden, die mit ihrer Willkür und dem Heranziehen des Anti-Terror-Paragraphen politisch aktive aber tadellose und intelligente junge Menschen ins Gefängnis bringt. Einerseits fehlt so in den medienwirksamen Stellungnahmen die Überlegung, dass in Frankreich einige dutzend Menschen wegen Verdacht der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung oft jahrelang in Untersuchungshaft sitzen und dass dieser Vorgang meist unbeachtet bleibt, weil er ansonsten weniger einflussreiche Bevölkerungsgruppen betrifft.
Andererseits drängt sich der Gedanke auf, dass sich die gegenwärtige Mobilisierung stark auf die juristische Unschuld der Angeklagten beruft und somit politisch offensivere Arten der Verteidigung ausklammert.
Die Unterstützer_innen der Beschuldigten der angeblichen ‚MAAF‘ hingegen lehnen die Zusammenarbeit mit Journalist_innen und bürgerlichen Vereinen ab. Sie versuchen stattdessen, die Ermittlungen gegen politische Aktivist_innen in den Kontext der alltäglichen polizeilichen und sozialen Kontrolle aller Personen, die zu arm oder zu aufständig sind, um in das demokratische Gesamtbild zu passen, zu stellen. Es wird versucht, politische Solidarität auf der Basis von gemeinsamer Betroffenheit vieler Menschen von Überwachung und Bestrafung aufzubauen.
Die Frage, inwieweit diese beiden Herangehensweisen unterschiedlich interessante Resultate bringen, hinsichtlich ihres politischen Ausdrucks und hinsichtlich der Effizenz für die Betroffenen, muss also kritisch gestellt und kann weiter ausdifferenziert werden.
Handelt es sich bei dem breiten Medienphänomen, das die Solidaritätsarbeit der im November Verhafteten begleitet, um eine Art Klassensolidarität, die für andere Aktivist_innen undenkbar ist ? Oder bringt sie vielmehr Menschen außerhalb des engen Kreises einer politischen Szene das Thema
Repression näher und ermöglicht so breiteren, wirksameren Protest ? Unterschlägt sie dabei die Möglichkeit, Akte politischen Widerstands auch politisch zu thematisieren und zu verteidigen ?
Es fällt jedenfalls auf, dass Solidarität sich über diese Unterschiede der politischen Positionen und Strategien hinaus ohne weiteres nur schwer vernetzen lässt. Die beiden Solidaritätswoche im Januar, zu denen zeitgleich aber getrennt aufgerufen wurde, zeigen dies deutlich.
Perspektiven im Weitwinkelobjektiv
Jenseits dieser (sicherlich nicht besonders originellen oder neuen) Konflikte und vor allem angesichts von Repression, die einerseits eine ausgeprägte strategische Komponente und andererseits eine europäische (und internationale) Dimension hat, stellt sich die Frage, wie offensive Formen der Anti-Repressionsarbeit aussehen können, die politische Handlungsspielräume eröffnen.
Dabei kann die Auseinandersetzung mit den strategischen Funktionen der Repression wichtige Anhaltspunkte liefern. Gilles Gray, Direktor der Abteilung Ökonomischer Schutz im französischen Inlandsgeheimdienst bezeichnet beispielsweise die Festnahmen in Tarnac als „eine klare Botschaft… gerichtet an diejenigen, die vielleicht darüber nachdenken, ähnliche Dinge zu tun“, angesichts einer, mit seinen Worten, „Philosophie des Widerstandes, die sich in Europa verbreitet“. Repression im Allgemeinen und Anti-Terrorismus-Repression im Speziellen dient nicht nur der Bestrafung und Überwachung, sondern auch der (vorbeugenden) Einschüchterung, der Isolation politischen Widerstandes und der Sicherung von staatlicher Herrschaft.
Gleich mehrere Lektionen sollen erteilt werden : politischer Widerstand gegen die herrschenden Zustände sollen unmöglich erscheinen und bestimmte Organisations- und Aktionsformen von vornerein ausgeschlossen werden.
Und : strafrechtlich relativ banale Akte (wie Sabotage und Sachbeschädigung) sollen in den Augen aller übermäßig gewalttätig und verrückt erscheinen, ihr politischer Gehalt soll an sich unverständlich bleiben.[5] Gegenüber einer sozialen und ökonomischen Gesamtsituation mit hohem Konfliktpotential ist Repression so auch ein Mittel zur Sicherung von staatlicher Macht : hartes Durchgreifen gegen politisch ‚Unvereinnahmbare‘ wird legitimiert, Stärke demonstriert und Kontrolle ausgeweitet.
Das Solidaritätskomitee aus Montreuil (bei Paris) schreibt dazu in seinem Aufruf : „Eins ist
sicher : Hier, wie auch in Italien, Deutschland und den USA, ist der Anti-Terrorismus nicht einfach eine Reihe von Sondergesetzgebungen, die sich die einzelnen Länder erlauben, sondern es handelt sich um eine neue Art des Regierens und zwar weltweit.“
Dieser letzte Schluss, nämlich dass hinter den verschiedenen Fällen von Anti-Terrorismus-Repression eine geschlossene, allumfassende Logik steht, eine Art des Regierens von völlig neuer Qualität, bedarf sicherlich noch mehr Diskussion. Eines ist jedoch sicher : Repression organisiert sich in allen diesen Fällen selbstverständlich auf europäischen Niveau und benutzt dazu Überwachungs-Infrastrukturen, die auf länderübergreifender Basis geschaffen werden.[6]
In diesem Kontext muss auch die Tragweite von Solidarität gesehen werden. Sie muss versuchen, Grundlagen einer politischen Praxis für die Zukunft zu schaffen, die auf der Höhe der verschiedenen Dimensionen dieser Repression ist.
Dazu, um zum Schluss zu kommen, einige Anhaltspunkte :
Konkrete Solidarität materieller Art und öffentlichkeitswirksamer Art ist weiterhin nötig, um die aktuell Beschuldigten möglichst unbeschadet aus der Sache (und das heißt auch zunächst mal : aus der Untersuchungshaft) herauszubekommen.
Um das (nicht freiwillig gewählte) Feld der Anti-Repression jedoch offensif auszuweiten, sollte Solidarität ermöglichen, die Legitimität der verfolgten Aktions- und Organisationsformen in breiteren Mobilisierungen zu verteidigen und so auch politische Handlungsspielräume zu erweitern.
Außerdem sollte nicht aus den Augen verloren werden, dass Repressionsmechanismen auf Grund gemeinsamer Betroffenheit breiter diskutiert und analysiert werden können. Die Diffamierung jeglicher Art von militanter Politik als Terrorismus ist weniger wirksam, wenn dieses Vorgehen in Kontext von allgemeinen Überwachungs- und Kontrolllogiken gestellt wird.
[1] 2007 bei La Fabrique erschienenes politischen Manifest, das eine Strategie der Erhöhung der Spannung propagiert. In Berichten der Ermittlungsbehörden und der Medien nimmt Juliens mutmaßliche Mitarbeit an dem Text großen Raum ein. Seither sind die Verkaufszahlen des Buchs beträchtlich gestiegen.
[2] ‚Das Abschleppfahrzeug erzählt‘, Titel eines Textes, der in Solidarität mit den Beschuldigten zu Sabotage an Polizeifahrzeugen aufruft
[3] ‚Die öffentliche Ordnung auf schwerwiegende Weise stören‘ : Einleitung der Broschüre ‚mauvaises intentions. Das Anti-Terrorismus-Werkzeug und die mouvance anarcho-autonome‘ (Mai 2008)
„Unnötig, sich hier über die Gründe für die erhöhte Spannung auszulassen : mehr oder weniger unterschwellige Revolten, spontane Streiks, soziale Bewegungen, die den vorbestimmten rechtlichen Rahmen verlassen … und nicht nur in Frankreich.
Alle kennen die alltägliche Unterdrückung auf der Arbeit, um sich durchzuschlagen, um ein Dach über dem Kopf zu haben. Den Kapitalismus aufrechtzuerhalten heißt auch, die Ausgebeuteten jederzeit den Druck spüren zu lassen : das Gesetz, die Kontrolle und die Angst sind die besten Werkzeuge. Vereinzeln. Isolieren. In Kategorien stecken. Dies bleiben die effizientesten Werkzeuge der Macht. Sein Propagandainstrument, die Presse, arbeitet regelmäßig daran mit : Revolten und Ausschreitungen werden in Szene gesetzt, um dann, mit der vorrausgesetzten Zustimmung aller, abgestraft zu werden.
Seit einigen Jahren steht die Figur des Terroristen für das Böse und das funktioniert weltweit gut. In Frankreich werden alle, die den Staat auf die eine oder andere Weise politisch in Frage stellen, zusammen in einen Sack mit der Aufschrift ‚Terrorismus‘ gesteckt, ebenso die, die ihn ersetzen möchten (religiöse Integristen, Nationalisten…) wie auch die , die ihn endgültig abschaffen möchten. Irrationale Panikmache ersetzt dabei, im kollektiven Gedächtnis, die politische Analyse.
Ein altes Feindbild wird seit den Präsidentschaftswahlen 2007 wiederbelebt : ‚die Autonomen‘. Polizei und Medien reduzieren unter dem Namen ‚anarcho-autonome Bewegung‘ eine vielfältige Praxis von emanzipativen Ideen und Handlungen auf ein organisiertes Netzwerk. Die Kritik an Staat und Kapital wirksam werden zu lassen, heißt aber nunmal ihn auch tatsächlich anzugreifen. Die meisten Menschen halten das für unmöglich und können jede direkte Aktion nur als eine Manipulation von Seiten der Polizei, als eine Handlung von Verschwörungstheoretikern oder Rechtsradikalen wahrnehmen… Alles Erklärungen, die direkte Aktion als Kritik an den bestehenden Verhältnissen unglaubwürdig, unwirksam und für die Bevölkerung unverständlich erscheinen lassen. Was wiederrum das Gefühl der Ohnmacht verstärkt.
Es ist nicht wirklich erstaunlich, dass der Staat diese beiden Ängste zu einer zusammenbringen möchte : Angst vor dem ‚Terrorismus‘, Angst vor den ‚Anarchisten‘. Darum geht es von neuem seit einigen Monaten.
Es liegt uns am Herzen, die Texte in diesem Heft zusammenzustellen, weil es darum geht, ein für alle mal den Mechanismus zu erklären, bei dem einige wenige ins Gefängnis gebracht werden, um viele weitere zum Schweigen zu bringen.“
[4] In der deutschen Übersetzung in den Archiven von de.indymedia.org
[5] Eine in Deutschland bei der taz eingegangene Anschlagserklärung, die die Hakenkrallen-Aktionen im November in den Kontext des Widerstandes gegen den Castor-Transport stellen, wurde in Frankreich so gut wie gar nicht diskutiert. Das Bekenner_innen-Schreiben wurde ausschließlichdurch einen Polizeibericht Ende November bekannt und nur zögerlich in den Medien und in der linken Szene aufgegriffen. Das stellt die Frage nach der Vermittlung von politischen Aktionen :
Für die ‚linke Szene‘ ist es unglücklich, wenn ein Polizeibericht die einzige Quelle ist, die einer Aktion einenfassbareren politischen Hintergrund gibt. Dies gestaltet die Entscheidung schwierig, wie sich auf diese Anschlagserklärung bezogen werden und wie die Akte politisch verteidigt werden können. Atomtransporte sind weiterhin kein Thema und die Diskussion um Sabotage als Aktionsmittel wird auf einem recht abstrakten Niveau geführt, da in dem Buch ‚L’insurrection qui vient‘ allgemein von dem ‚Blockieren der Ströme‘ als Strategie gegen ein System, das nicht mehr zentral sondern vielmehr diffus anzugreifen sei, die Rede ist.
Mit Blick auf eine breitere Öffentlichkeit gibt dieser Zustand den Ermittlungsbehörden und den bürgerlichen Medien jedenfalls alle Trümpfe in die Hand, die Akte als absurd und unnachvollziehbar darzustellen und so zu isolieren.
[6] Von Anfang an sprachen die Behörden (und die Medien) bezüglich der Festnahmen und Ermittlungen Anfang November von internationalen Verbindungen der Verdächtigten: es soll Kontakte zu Linksradikalen in den USA, Belgien, Italien, Griechenland, Deutschland und der Schweiz geben. Eine Datenübermittlung der US-amerikanischen Behörden war auch der Grund, warum die französischen Behörden im April mit der Observation von Yildune und Julien begannen.
Mitte Dezember stürzten sich die französischen Medien dann auf das, was sie in Übereinstimmung mit den Ermittlungsbehörden ‚la piste allemande‘ nennen. Denn eins ist nun sicher, die Ermittlungen ziehen Kreise über Frankreich hinaus : die Hakenkrallen-Methode ist als ‚made in Germany‘ gelabelt und die Namen von Personen, gegen die in einem mittlerweile eingestellten 129a-Verfahren wegen Hakenkrallen-Aktionen ermittelt wurde, wurden an die französischen Behörden weitergegeben und finden Eingang in die aktuellen Ermittlungen.
Inwieweit sich die Behörden bei den aktuellen Ermittlungen auf eine neue europäische Dimension ihrer Arbeit konzentrieren und welche ‚Zusammenarbeit‘ (Datenaustausch über politische Aktivist_innen…) dabei zum Standard werden, wird sich zeigen.
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