Kategorien
Wuppertal

Stellungnahme zur Kampagne gegen das AZ

Wir dokumentieren hier eine Stellungnahme von „autonomen Strukturen aus dem AZ Wuppertal“:
Entgegen anderer Verlautbarungen nehmen wir, die Menschen, welche den AZ-Betrieb aufrechterhalten, hier Politik betreiben und/oder sich mit dem AZ verbunden fühlen, die Probleme im Haus sehr ernst.
Sexismus, Rassismus, Antisemitismus und jegliche Art der Diskriminierung sollen im Haus keinen Platz haben. Nichtsdestotrotz passiert auch hier Scheiße.
Dies wird jedoch nicht ignoriert, sondern ist Thema und Inhalt von vielfältigen und immer wieder geführten Debatten. Alle, denen das AZ am Herzen liegt sind eingeladen und aufgefordert sich an den Prozessen, die nötig sind um Freiräume zu schaffen und zu erhalten, zu beteiligen.
Mit Beteiligen ist jedoch nicht gemeint, auf Facebook und Indymedia-Linksunten vereinzelt mehr oder weniger schlechte Kommentare zu posten. Nazis und Behörden reiben sich zur Zeit die Hände und schreiben fleißig mit. Der Blog sowie das öffentliche und unkontrollierte Versenden des Papiers „AZ-dichtmachen“ über verschiedene Verteiler und Facebook ist eine gezielte Kampagne gegen das Autonome Zentrum als Gesamtes und unsere offenen, selbstverwalteten Strukturen.
Wir waren hin und hergerissen, ob wir überhaupt und wenn ja in welcher Weise auf die Hetze und die widerliche Instrumentalisierung der Vergewaltigung antworten sollen. Viele von uns sind tief getroffen. Mit der anonymen Kampagne wird die jahrelange – auch antisexistische – Arbeit für das selbstverwaltete Autonome Zentrum mit Dreck beworfen. Wir kennen die Verfasser*innen des Papiers, weil sie seit Jahren als kleine antideutsche, dogmatische Fraktion ihre autoritäre Politik in Wuppertal verankern wollen und damit bislang u.a. auch an den autonomen Strukturen im und ums AZ gescheitert sind.
Die Tat und unser bisheriger Umgang
Das Papier „AZ-dichtmachen“ suggeriert, im AZ Wuppertal wäre eine Vergewaltigung geschehen und keine*r hätte geholfen, außerdem würde der Vergewaltiger nach dem Bekanntwerden des Verbrechens munter über unsere Feste und Demos spazieren. Das müssen wir klarstellen:
Wir sind am 16. April 2012 über den Vergewaltigungsfall in Kenntnis gesetzt worden. Der Täter hat direkt nach Bekanntwerden des Verbrechens ein sofortiges Hausverbot bekommen. Wir haben ebenso – sogleich nach Bekanntwerden – alle anderen politischen Strukturen und soziale Treffpunkte, in denen der Täter verkehrte und verkehren könnte, über den Vorfall informiert.
Die Behauptung, er hätte auf der Nachttanzdemo am 30. April ungestört rumlaufen können, ist falsch. Als Leute ihn entdeckten, begab er sich schnell in den Schutz der Bereitschaftspolizei.
Im Nachgang zu diesem Plenum stellte sich heraus, dass eine Person, welche sich im AZ einbrachte, bereits von der Tat durch den Täter wusste und auf dessen Bitte hin für ihn sogar bei der Polizei ausgesagt hatte. Die Person bekam zunächst ebenfalls ein vorläufiges Hausverbot. Nach einer Woche wurde zunächst das Hausverbot in ein „Aufgabenverbot“ (kein Tresendienst etc.) umgewandelt und nach langen Gesprächen mit der Person, wurde letztlich wieder ein Hausverbot gegen ihn verhängt.
Wir sind von den Ereignissen geschockt und sehr betroffen. Das geht nicht spurlos an uns vorbei.
Der Täter (55-60) saß seit etwa einem Jahr bei Kneipen und Voküs öfters an der Theke im AZ und hat – wie jetzt im Nachhinein festgestellt wurde – wiederholt junge Frauen angequatscht und angebaggert.
Leute aus dem AZ, die das übergriffige Verhalten des Täters zwar bemerkt, aber nicht ernst genommen und rechtzeitig reagiert haben, machen sich unzweifelhaft Vorwürfe. Offensichtlich fehlt es uns in Alltagsituationen im AZ oft an Gespür, an Mut und auch an Solidarität untereinander, Beobachtungen auszutauschen und über die politischen und persönlichen Konkurrenzen und Feindschaften hinaus, handlungsfähig zu sein und einzugreifen. Es gab vor der Tat zwar in einem Fall eine Nachfrage bei einer belästigten Frau, die aber eindeutig klarmachte, dass sie mit der Situation umgehen kann und keine Hilfe braucht. Danach ist leider nichts mehr passiert.
Wer sind wir?
Wir können und wollen nicht für alle Leute aus dem AZ sprechen. Wir sind, einige erst kürzer, andere seit Jahren im und ums AZ nach Innen und Außen politisch und organisatorisch aktiv.
Wir haben in den letzten 1½ Jahren maßgeblich die Antifa-Arbeit in Wuppertal getragen und sind ebenfalls bewusst in großen (bürgerlichen) Antifa-Bündnissen aktiv. Wenn wir nicht gerade notgedrungen die Nazis bekämpfen, sind unsere politischen Schwerpunkte u.a. Stadtteil- und Erwerbslosenarbeit. Beispielsweise haben einige von uns das Bündnis „BASTA – Gegen das Totsparen – für ein Recht auf Stadt“ mitgegründet und vieles mehr. Für uns sind soziale Kämpfe, offene Strukturen und kollektive Projekte und Prozesse unverzichtbar und die Basis unserer politischen Vorstellungen. Bei der „4. Woche-Aktion“ kochen wir beispielsweise bewusst mit und für die „normalen“ Nachbar*innen in dem Stadtteil, in dem wir selber wohnen und leben.
Reine Szeneveranstaltungen finden wir oft trist und auch unserem eigenen Alltag zu fern, als dass diese der Endpunkt unserer sozialen und politischen Bewegungen sein sollen. Wir freuen uns beispielsweise, wenn wir in türkischen Clubs Blockadekonzepte gegen den Naziaufmarsch, wie im vergangenen Jahr, vorstellen konnten oder das wir uns im Kampf gegen die Nazis in der Innenstadt mittlerweile mit Jugendlichen, die Allermeisten davon mit Migrationshintergrund, gemeinsam verhalten können. Und wir demonstrieren gemeinsam mit dem Vorsitzenden der jüdischen Kultusgemeinde nicht nur gegen Nazis, sondern unlängst auch gegen eine Großveranstaltung von Palästinensern, die sich nicht von den Selbstmordattentaten und Raketenangriffen auf israelische Zivilist*innen distanzieren wollten. Immer wieder organisieren wir Begegnungen mit Zeitzeug*innen, Widerstandskämpfer*innen und Überlebenden der Shoah.
Das Wuppertaler AZ
Zur Erinnerung: das Autonome Zentrum ist ein selbstverwaltetes Zentrum, mit öffentlichen Partys und Konzerten. Bei uns treffen sich verschiedene Gruppen unterschiedlichster Couleur, von antideutsch-orientierten Antifas, über die Rote Hilfe, Infoladengruppe, Ermittlungsausschuss, Vokü-Gruppe bis zur Karawane – für die Rechte der Flüchtlinge und Migrant*innen und viele mehr.
Besonders erfreulich finden wir, dass sich seit kurzem eine neue Generation von jungen Antifaschist*innen das AZ aneignet, für Treffen nutzt, um sich gegen die Nazigewalt zu organisieren, aber auch, um ihre Freizeit dort zu verbringen.
Das AZ und seine Besucher*innen sind nicht nur Spiegelbild der Gesellschaft, sondern vielfach zudem ein Anlaufpunkt für Menschen, die „irgendwie Anders“ sind. Hier treffen sich (manchmal geballt) alle Probleme, Perspektivlosigkeit und soziale Schwierigkeiten. Auch exzessiver Drogengebrauch und psychische Erkrankungen machen vor den Toren des AZs nicht halt.
Konflikte um sexistische Verhaltensweisen und sexistische Gewalt gibt es seit Gründung des AZ in den siebziger Jahren.
Unter uns AZ-Besucher*innen sind selbst Leute, die in ihrer Lebensgeschichte persönliche Gewalterfahrungen haben und/oder Betroffene von sexuellen Übergriffen waren.
Unser Blick auf Politik
Die „heile Politwelt“, mit Benimmregeln, Minimalkonsens und gepflegten Theorieabenden, in der es nur Blau und Rot, aber kein Lila gibt, die gibt es nicht. Das wissen alle, die schon mal in einem offenen und sozialen Zentrum aktiv waren.
Antisexistisches Bewusstsein und Handeln entsteht nicht, wenn (vermeintlich) radikale Parolen gesetzt und/oder nachgeplappert werden. Auch nicht, wenn – hier beispielhaft erwähnt – aus ideologischen Gründen, dauerhaft die Frauen/Männer Klo-Schilder abmontiert werden und damit bei Großveranstaltungen ein zusätzlicher Gefahrenraum für Frauen geschaffen wird.
Es nützt nichts zum Thema Sexismus nur Verbotschilder aufzustellen und hochzuhalten, oder sich in elitären Zirkeln neue Regeln für die „Unwissenden“ auszudenken. Eine reine Weitergabe von theoretischem Wissen über Sexismus und patriarchale Strukturen und das ausschließliche Aufstellen von Verhaltensregeln entleert eine inhaltliche Diskussion bzw. lässt diese erst gar nicht stattfinden. Das Vermitteln, von für uns elementarem antisexistischem Bewusstsein, entsteht und erfolgt in der immer wiederkehrenden Auseinandersetzung untereinander und mit sich selbst, unter Einbezug der jeweils subjektiven Herkunft und des Diskussions- und Wissensstands. Das gilt ebenso für alle anderen bestehenden Herrschaftsverhältnisse und obendrein für die Entwicklung von Utopien. Diese Prozesse sind mühevoll, anstrengend und oft sehr kraftraubend, aber für uns alternativlos.
Die Realität der Plena und unserer Strukturen
Zunächst vorneweg: in einem offenen und sozialen Zentrum sind Plena davon gekennzeichnet, dass verschiedene Gruppen, Einzelpersonen oder lose Zusammenhänge in ihrer ganzen Vielfalt, (z.B. unterschiedliche soziale Herkünfte und Interessen) in immer wieder wechselnden Konstellationen gemeinsam diskutieren und bisweilen wesentliche Entscheidungen treffen (müssen). Oft entwickelt sich – mal für eine längere, mal für eine kürzere Zeitspanne – daraus eine Gruppe von Personen, die aufgrund ihres regelmäßigen Erscheinens mehr Verantwortung übernehmen und tragen, als andere (was im Übrigen viele als sehr praktisch konsumieren, aber, wenn mal was schief läuft die Ersten sind, die hieran Kritik üben). Aus der Tatsache des größeren „Insider-Wissens“, das allein durch Anwesenheit und fehlender offener Vermittlung des auf dem Plenum Gesprochenen resultiert, kann sich eine von vielen inneren Hierarchien entwickeln. Aber auch die verschiedenen Gruppen und Einzelpersonen treten unterschiedlich mächtig, offen oder verdeckt, bewusst oder unbewusst auf den Plena auf. Es könnten an dieser Stelle noch wesentlich mehr und verschiedenste Machtverhältnisse beschrieben werden, denn ein Plenum ist kein soziales Vakuum. Die Gefahr der unhinterfragten Reproduktion gesellschaftlich existenter Herrschaftsverhältnisse besteht genau dann, wenn diese selbst und untereinander nicht immer wieder thematisiert werden.
Um das hier nochmal klarzustellen: wir unterstützen das Konzept der Definitionsmacht der Betroffenen sexualisierter Gewalt und verteidigen dieses Konzept politisch zum Teil seit vielen Jahren. Aber das enthebt uns nicht davon, dass jede Entscheidung und jedes Hausverbot vermittelt und diskutiert werden muss!
Leider werden die Debatten über sexistische Verhaltensweisen in der letzten Zeit immer wieder in hohem Maße instrumentalisiert. Es gibt im AZ natürlich eine Vielzahl von Konkurrenzverhältnissen unter den Gruppen und Subkulturen. „Wer ist z.B. der*die radikalste und konsequenteste Antifaschist*in und Antisexist*in, wer hat (genug) ideologische Vorbildung und Durchblick?“ Punks werden beispielsweise als unpolitische Saufpunks abgestempelt und auf der anderen Seite werden antideutsche Antifas angefeindet.
Aber machen wir uns nichts vor, ein großer Teil der Streitigkeiten und Feindschaften basieren auf zwischenmenschlichen Schwierigkeiten und in die „große Politik“ mischen sich häufig genug persönliche Konflikte und Beziehungsprobleme.
Das wirkt sich leider aber auch auf unseren Umgang mit sexistischen Verhaltensweisen aus: wenn es jemanden trifft, der im AZ seine Freund*innen oder gar eine „Hausmacht“ hat, dann werden die Plena von den verschiedenen Freundeskreisen und Politgruppen zum großen Kräftemessen benutzt. Anstatt ein gemeinsames Bewusstsein und Gespür über die unterschiedlichen Formen von sexistischer Gewalt zu entwickeln, wird die Durchsetzung von Verhaltensregeln und Hausverboten – zu häufig – zum reinen Machtkampf der Fraktionen. Sogar bei der praktischen Durchsetzung von Hausverboten werden dann noch persönliche Rechnungen beglichen, anstatt dass neutrale Personen vielleicht schon vor dem nächsten AZ-Besuch dem Betroffenen von der Entscheidung des AZ-Plenums informieren.
Angesichts der aktuell zerrütteten Vertrauensverhältnisse im AZ müssen wir Alternativen der Ansprache und der Diskussion entwickeln. Wenn auf dem AZ-Plenum zurzeit nicht die Atmosphäre vorherrscht, dass Betroffene von ihren (Gewalt-) erfahrungen erzählen können, ohne direkt in Machtkämpfe verstrickt zu werden, müssen wir vielleicht mit Anlaufstellen und neutralen Vertrauenspersonen arbeiten, die die Schilderungen erstmal aufnehmen und mit den Betroffenen reden.
Möglicherweise können wir bei dieser Frage auf Erfahrungen von anderen autonomen selbstverwalteten Zentren oder Camps zurückgreifen. Wünschenswert wäre hier ein offener Austausch.
AZ-dichtmachen?
Die Kampagne gegen das AZ, die die Parole der Nazis „Endlich weg mit dem autonomen Zentrum“ vom Naziaufmarsch im Januar letzten Jahres aufgreift, trifft uns in einer schwierigen Situation.
Fast täglich kommt es in Wuppertal zu körperlichen Auseinandersetzungen mit Nazis. Antifas wurden mit Messern, Knüppeln und abgebrochenen Flaschen zum Teil schwer verletzt. Einige der jüngeren Antifas sind zudem durch Knast und Ermittlungsverfahren bedroht. Besonders gravierend für alle Antifaschist*innen in NRW war das am 8. April 2012 bekannt gewordene Überlaufen des Remscheider Antifas Lukas Bals in die militante Naziszene. Er war an allen Naziüberfällen der letzten Zeit beteiligt und durfte das Front-Transparent bei der Nazidemo am 1.Mai in Bonn tragen. Bals nimmt nicht nur auf der politischen Ebenen gefährliches Insiderwissen zu den Nazis mit. Auf sozialer Ebene, insbesondere in der jungen Antifa-Szene, hat das Überlaufen neben Sprachlosigkeit im wortwörtlichen Sinn eine soziale Sprengkraft gehabt, mit deren Auswirkungen sich noch weiter beschäftigt werden muss.
Wir müssen uns in der Reflexion dieses Geschehens notwendigerweise fragen, wie sich Bals so lange und in führender, tonangebender Position in der jungen regionalen Antifa-Szene bewegen konnte. Über die tatsächlichen subjektiven Gründe von Bals können wir nur spekulieren und das bringt uns keinen Schritt weiter. Gleichwohl müssen wir über die eigenen Strukturen reflektieren, deren Anspruch auch im Antifa-Bereich emanzipatorisch sein sollte. Was machen wir mit Mackertum und pseudo-militantem Gehabe in den eigenen Strukturen? Wie tiefgreifend ist die Politisierung in unserer Szene? Wir müssen uns selbstkritisch fragen, wie gefestigt unsere Radikalität und unser Antifaschismus eigentlich ist. Auch diese schwierigen Debatten werden wir nur solidarisch und in ehrlichen Auseinandersetzungen führen können.
Zum Schluss
Wir wollen die Einladung des großen Orgatreffens vom 07. Mai ausdrücklich nochmal erneuern: alle, denen das AZ – also selbstverwaltete, an Prozessen orientierte antiautoritäre und emanzipatorische Politik – am Herzen liegt, sind eingeladen und aufgefordert sich an den Prozessen, die nötig sind um Freiräume zu schaffen und zu erhalten, zu beteiligen. Wir wollen mit euch Veranstaltungen und Diskussionsrunden organisieren.
Angedacht sind zum einen eine Veranstaltung mit Freund*innen aus anderen autonomen und selbstverwalteten Zentren zum Umgang mit Herrschafts- und Gewaltverhältnissen. Doch müssen wir uns, angesichts der faschistischen Bedrohung, auch der Überläufer-Frage und damit der Frage nach emanzipatorischer Antifa-Politik stellen.
Autonome Strukturen aus dem AZ Wuppertal
Uns ist es wichtig Strukturen und Probleme offen (in gewissem Rahmen) anzusprechen und zu diskutieren. Wir bitten darum, mit dem Papier verantwortlich umzugehen, um eine von Nazis und Behörden kommentierte Debatte im Netz zu verhindern. Das schließt für uns das Posten auf öffentlichen Plattformen mit offener Kommentarfunktion (Facebook, Indymedia, diverse offene Foren ect.) aus.