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(Anti-)Repression Recht auf Stadt Wuppertal

Umfrage zum Döppersberg – Freiheit stirbt mit Sicherheit

Ist Sicherheit der einziger Bestandteil von Lebensqualität am Döppersberg? Eine Umfrage der Universität und der Stadt erweckt zumindest den Eindruck

Einige Bürger:innen erreichte vor kurzem eine Befragung der Uni Wuppertal, genauer des Lehrstuhls für Bevölkerungsschutz, Katastrophenschutz und Objektsicherheit, unterstützt von OB Schneidewind. Wer sich hier bereits fragt, welche Katastrophen den vom Neuen Döppersberg zu erwarten sind (Dieses Primark Gebäude sah schon immer irgendwie wackelig aus, wie ein Sandcrawler der Jawas aus Star Wars) und wovor die Bevölkerung geschützt werden muss, hat schon das richtige Bauchgefühl.

Abbildung 1: Sandcrawler auf Tatooine, vor langer Zeit in einer weit weit entfernten Galaxis
Das mehrstufige Forschungsvorhaben, aus dem konkrete Maßnahmen entstehen sollen, wird in Zusammenarbeit verschiedener Projektpartner durchgeführt, darunter neben Diakonie und Suchthilfe auch gleich 2 Polizeibehörden und die Sparkasse
(kosid.uni-wuppertal.de/de/projektpartne….


Aus den FAQs, einsehbar unter: kosid.uni-wuppertal.de/fileadmin/site/b…

Die FAQs sind auch was die Ausrichtung der Studie angeht aufschlussreich. Eine der wenigen inhaltlichen Fragen, die die Forscher:innen vorwegnehmen und kurz beantworten, ist die folgende:

Nun mag es ja nicht falsch sein, dass ein Aspekt von Lebensqualität auch Sicherheit ist. Doch wo sind die anderen Aspekte? Wo ist die übergreifende Studie zur Lebensqualität am neuen Döppersberg?
Wie die Forschenden den neuen Döppersberg bereits wahrnehmen, bevor sie ihre Studie durchgeführt und ausgewertet haben, lässt sich ebenfalls leicht auf der Projekt-Webseite erkennen:
„Die städtebauliche Neugestaltung des Döppersbergs ist das zentrale und wichtigste Stadtentwicklungsprojekt der vergangenen Jahrzehnte in Wuppertal. Der Bereich war in der Vergangenheit ein unübersichtlicher und wenig attraktiver Zugang zur Elberfelder Innenstadt. Nun weist das Gebiet eine moderne Gestaltung mit hoher Aufenthaltsqualität und Funktionalität auf.
Mit den Baumaßnahmen wurde ein Bahnhofsumfeld geschaffen, das Mobilitäts- mit Konsumfunktionen verbindet und den Döppersberg als Visitenkarte der Stadt aufwertet.“
Von kosid.uni-wuppertal.de/de/projektgebiet… (selbst unterstrichen)
Dass die Aufenthaltsqualität also hoch ist, alles modern und funktional ist und mit seinen Konsumfunktionen aufgewertet wurde, ist also schon mal klar. Doch die Frage ist hier: Für wen?
„Bahnhöfe und die sie umgebenden Stadtviertel gelten seit jeher als städtische „Schmuddelkinder“. Sie sind vielerorts durch Unsicherheit und einen eher zweifelhaften Ruf geprägt. Der Standortkomplex Bahnhof steht damit beispielhaft für die kriminalitätsfördernden Bedingungen von Mobilitätsschnittstellen. Lange Zeit führte der Döppersberg die Liste der im Angstraumkonzept der Stadt Wuppertal ausgewiesenen Orte an.“ kosid.uni-wuppertal.de/de/projektgebiet… (selbst unterstrichen)
Nee also schmuddelige, kriminalitätsfördernde Bedingungen im Angstraum, das kann ja keine:r wollen! Interessant an der Tatsache, dass die Forschenden dieses angstbesetzte Bild vom alten Döppersberg zeichnen ist, dass dies noch ganz anders beschrieben wurde, als das Projekt 2019 startete. Damals sagte Moritz Quel, der heute nicht mehr im Projekt beteiligt ist, der Rundschau noch: „Das Döppersberg-Vandalismusbild, das vielfach in den Medien gezeichnet wurde und wird, trifft definitiv nicht zu. Der Döppersberg ist weder ein Angstraum, noch ein Kriminalitäts-Hotspot!“ Und er betonte, dass allen Beteiligten klar sein müsse, dass „es in einem großstädtischen Bahnhofsumfeld unmöglich sei, „Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt auf der Straße haben“ (und die bekanntlich vielfach unerwünscht sind) zu verdrängen.“ (beide Zitate aus Wuppertaler Rundschau vom 9.11.2019, www.wuppertaler-rundschau.de/lokales/wu… Die Ergänzung in Klammern und damit die Interpretationshilfe lieferte die Rundschau gleich mit. So wurde die Aussage von Moritz Quel auf den Kopf gestellt.
Auf der Webseite des Projekts wird unter den Projektzielen polarisiert und in Töpfe geworfen, was das Zeug hält:
„Er der Döppersberg ist auch Wohn- und Aufenthaltsort von Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt auf der Straße haben. Diesen soll beispielsweise mit dem geplanten Neubau des Café Cosa im Wupperpark-Ost eine neue Anlauf- und Beratungsstelle am Döppersberg geschaffen werden. Demgegenüber stehen die Interessen von Einzelhändlern und Gewerbetreibenden, die im Umfeld des Döppersbergs Umsatzeinbußen, Inventurverluste und Vandalismusschäden beklagen.“ (kosid.uni-wuppertal.de/de/projektziele….
Während hier also ein Zusammenhang zwischen Menschen, die auf der Straße leben und Umsatzeinbußen, Inventurverluste und Vandalismusschäden hergestellt wird und die vermeintlich einheitlichen Interessen dieser Menschen denen des Marktes gegenübergestellt werden, beschreibt das Café Cosa seine Ziele vielmehr so: „Das Café COSA ist das Kontaktcafé in Wuppertal für Gäste, die sich einen Moment ausruhen oder aufwärmen wollen. Ob Sie arbeitslos, verschuldet sind, eine psychische Erkrankung haben oder Drogen konsumieren: für Sie stehen unsere Türen immer offen, wir sorgen für ein wenig Stabilität und Orientierung.“ (https://www.sucht-hilfe.org/cafe-cosa/angebote/)
Dass es Menschen geben könnte, die Gewerbe treiben oder Dinge kaufen UND sich einen Moment ausruhen wollen und/oder verschuldet sind und/oder psychische Erkrankungen haben, kommt den Forschenden offenbar nicht in den Sinn. Denn ihre Welt stellt sich so dar: „Was die einen als wünschenswerte Sicherheit ansehen, kann die Sicherheit der anderen gerade einschränken.“ (https://kosid.uni-wuppertal.de/de/projektverlauf.html) Das ist im Einzelfall womöglich nicht falsch doch liest sich die Projektdarstellung und auch der Fragebogen selbst eher wie eine Schwarz-Weiß Fotografie von komplexen sozialen Realitäten. Durch die Kooperation von Polizeibehörden, Bahn, Wirtschaftsvertreter: innen, Stadt, Stiftungen und zwei (!) Sozialeinrichtungen wird hier unter den Schlagworten „Plurale Sicherheitsarbeit“ (https://www.forum-kriminalpraevention.de/files/1Forum-kriminalpraevention-webseite/pdf/2020-03/Plurale%20Sicherheitsarbeit.pdf) Diversität und Pluralismus suggeriert, der sich dann am Ende so darstellt:


Foto: kosid.uni-wuppertal.de/de/aktuelles.html v.l.n.r.: Jürgen Vitenius (Bezirksbürgermeister Elberfeld), Michael Potschka (Bundespolizeiinspektion Düsseldorf), Markus Röhrl (Polizeipräsident), Dr. Stefan Kühn (Sozialdezernent), Andreas Bialas (Mitglied des Landtags NRW), Prof. Dr. Lambert T. Koch (Rektor der Bergischen Universität Wuppertal), Herbert Reul (Innenminister NRW), Arno Weise (Polizeiinspektion Wuppertal), Andreas Mucke (Oberbürgermeister), Matthias Nocke (Ordnungsdezernent), Dr. Christian Kindinger (WSW)

Die Befragung

Das Projektteam beschreibt seine Vorgehensweise so: „Methodenmix aus Experteninterviews mit (sicherheits-)relevanten Akteuren (Polizei, soziale Ordnungspartnerschaften, Sozialarbeit, Stadtplanung, Gewerbetreibende, Investoren etc.), Beobachtungen vor Ort, einer stadtweiten Bevölkerungsbefragung sowie einer Analyse der tatsächlichen Sicherheitslage“ (https://kosid.uni-wuppertal.de/de/projektverlauf.html) In der Sozialforschung gelten die Menschen, die von bestimmten Maßnahmen, Veränderungen oder Interventionen am Meisten betroffen sind, als Expert:innen definiert (Quelle: guck Internet). Ob auch Menschen interviewt wurden, die nicht allein sozialarbeiterisch dort tätig sind, also aus zweiter Hand sprechen, sondern auch Menschen, die am Döppersberg ihren Wohn- und Aufenthaltsort haben, wird nicht klar. 8000 Wuppertaler:innen zu mit Fragebögen zu befragen klingt ambitioniert, doch wenn dies über das Einwohnermeldeamt geschieht, werden nur Menschen erreicht, die dort auch tatsächlich gemeldet sind.


Aus den FAQs, abrufbar unter kosid.uni-wuppertal.de/fileadmin/site/b…

Was mit „Zukunftswerkstätten“ (AP3) und bereits erfolgten „konkreten Maßnahmen“ (AP4) im Projektverlauf gemeint sein könnte, wie mensch daran teilnehmen kann und wie sichergestellt wird, dass wirklich ALLE beteiligt sind, bleibt leider unklar.


Bild: kosid.uni-wuppertal.de/de/projektverlau…

Der Fragebogen

Auch in der Konstruktion der Fragen und möglichen Antworten spiegelt sich die Ausrichtung und das sicherheitsfixierte Weltbild der Durchführenden wider. Barrierefreiheit, ein durch UN-BRK und Teilhabegesetze garantiertes Recht, taucht hier unter „Aspekte, die öffentliche Räume in der Stadt attraktiv machen“ neben „vielseitiges gastronomisches Angebot“ und „Flair/Atmosphäre“ auf (Frage 4).

Frageblock 5 behandelt Personen(-gruppen) und Verhaltensweisen. Die 4 Personengruppen auf der (offenbar unvollständigen) Liste sind:
1) Fußstreifen der Polizei
2) Gruppen herumstehender oder -sitzender Jugendlicher
3) Mitarbeiter/-innen des Ordnungsamtes
4) Menschen mit Lebensmittelpunkt Straße (z.B. Wohnungslose, Suchtkranke)

Sicher gibt es noch mehr Personen(-gruppen), die mit Lebensqualität zu tun haben (die dürfen Befragte selbst ergänzen), doch vor Allem stellt sich hier die Frage, wie die Befragten beurteilen sollen, wer wie alt ist, ob die Person „herum“ steht oder auf den Zug wartet, ob sie auf der Straße lebt und welche medizinischen Diagnosen sie hat.
Bei der darauffolgenden Frage 5 werden „Verhaltensweisen oder Phänomene“ beschrieben, von denen die Befragten im besten Fall „gar nicht beunruhigt“ sein können, im schlimmsten Fall „sehr beunruhigt“. Zwischen „öffentlichem Urinieren“, „Streitereien/Schlägereien in der Öffentlichkeit“ und „Uringeruch“ finden sich hier auch „politische Aktionen (z.B. Demonstrationen)“. Leute, die gerne zu Demonstrationen gehen und politische Beteiligung als wichtig, ja vielleicht sogar „attraktiv“ für öffentliche Räume empfinden, können hier leider nur ankreuzen, dass sie „gar nicht beunruhigt“ sind.

Für die Autor:innen ist offenbar auch klar, dass es einerseits Probleme zwischen „verschiedenen Bevölkerungsgruppen“ geben kann, aber auch solche zwischen „“gesellschaftlichen Randgruppen (z.B. Wohnungslosen, Suchtkranken) und der Mehrheitsgesellschaft“. (Frage 6) Wer so fragt, weiß entweder, was si:er hören möchte oder hat die Vorlesung Methodik I im Studium verpennt. Was ist der Unterschied zwischen Bevölkerungsgruppen und Randgruppen? Und was sagen sie damit, dass sie diesen Unterschied in der Frage einbauen?
Die demografischen Fragen ermöglichen es den Forschenden jedenfalls, ihr Bild, falls nötig, zu bestätigen. Polizeikontakt als Geschädigte:r oder Täter:in, die Einstellung zu Polizei und Ordnungsamt, politische Einstellung und Engagement, finanzielle Situation, Bildung, Staatsbürgerschaft lassen es zu, die Befragten entweder dieser oder jener „Randgruppe“ zuzuordnen, falls gewünscht.

Bei Redaktionsschluss waren wir uns noch unschlüssig, ob wir lieber unsere eigene Studie zum schönen Leben machen oder doch lieber eine 100-jährige Zukunftswerkstatt in der Bundesbahndirektion. Wir halten euch auf dem Laufenden!

gefunden auf njuuz.