In jeder Krise zeigen sich die Auswirkungen vom Kapitalismus besonders deutlich und die Herrschenden nochmal mehr als sonst ihr wahres Gesicht. So auch in dieser.
Die meisten Regierungen setzen derzeitig alles auf Isolation – keine sozialen Kontakte, keine Begegnungen in Räumen, nur die Haustür verlassen, wenn es „notwendig“ ist, Einkäufe auf Vorrat, keine Menschenansammlungen, Grenzschließungen, ach – am besten gleich zu Haue bleiben und sich einsperren. Diese Regel gilt für „alle“, wobei damit diejenigen gemeint sind, die sich eine Isolation zu Hause und Hamsterkäufe leisten können. Sie gilt nicht für Wohnungslose, Arbeiter*innen, deren Jobs auch in Krisenzeiten (ökonomisch) existenziell sind und erst recht gilt sie nicht für Gefangene.
Ein Blick nach Italien und auf die dort aus der Corona-Pandemie gezogenen Konsequenzen reicht aus, um abzusehen, was bei uns ebenfalls bald Alltag wird oder schon geworden ist. Jegliche Form von Geschäften, mit Ausnahme von Supermärkten und Apotheken sind dicht, fast das gesamte öffentliche Leben steht still. Wohlbemerkt, die Arbeiter*innen des „Gesundheitssystems“ sind am ackern, ebenso wie Arbeiter*innen in Einkaufsläden und Apotheken. Ausgangssperren wurden verhängt und wer sie missachtet, keinen „Passierschein“ mit sich trägt, der es „erlaubt“ die Haustür zu verlassen, bekommt die Repression des Staates zu spüren. Das Land zu verlassen ist sowieso keine Option mehr, die Grenzen sind, wie viele andere, abgeriegelt.
15. März. 2020, Twitter, @jvaluckauduben
„So langsam bekommt ihr ein #Gespür dafür, wie es uns im #Knast tagtäglich geht. Wenn bald die #Ausgangssperre verhangen wird, kommt ihr unserer #Situation noch näher. Die #Gesellschaft lernt, inhaftiert zu sein. Willkommen in unserer #Welt.“
Es braucht nicht viel, um absehen zu könnnen, dass die Herrschenden weltweit die neuen Regeln, welche angeblich für die Corona-Krise festgelegt werden, auch teil- und schrittweise für die Zeit „nach der Krise“ geltend machen werden. Die langfristigen Folgen dieser Krise werden, u.a. Angesichts der Tatsache, dass gesellschaftlich wie politisch auch ohne Corona täglich autoritäre faschistische Regime erstarken, bitter. Aber auch die kurzfristigen Folgen sollten wir ernst nehmen – weil es eben fraglich ist, wie kurzfristig sie tatsächlich ausgelegt sind.
Wie schon erwähnt: es geht uns nicht darum, dazu aufzurufen, wild durch die Gegend zu rennen oder alten Menschen, Personen mit einem geschwächten Immunsystem und generell Menschen, die zur Risikogruppe gehören, ins Gesicht zu husten und einen Scheiß auf ihre Gesundheit zu geben. Im Gegenteil: Solidarität ist in Zeiten der Pandemie mehr als wichtig, wobei Solidarität auch meinen kann, Risikogruppen nicht „zu nah“ zu kommen, weil wir den Virus eben alle in uns tragen könnten und damit potentiell verbreiten. Das schließt natürlich auch mit ein, eigene Bewegungen unter die Lupe zu nehmen und eine Keimverbreitung so gut es geht zu verhindern. Wenn in diesen Zeiten Begegnungsstätten schließen, weil sie mit allen Abwägungen die Hygiene und Gesundheit nicht gewährleisten können, ist das mehr als nachvollziehbar. Diese Entscheidung sollte aber nicht aufgrund einer staatlichen Vorgabe, sondern selbst überlegt und -bestimmt entstehen. Sind (all) unsere Räume in Zeiten einer Pandemie wirklich notwendig? Eine Kneipe beantwortet die Frage sicherlich anders als eine Sozialberatung. Und wenn der Raum nötig ist, kann er vielleicht auch draußen stattfinden? So oder so, wir sollten, nur weil das öffentliche Leben so gut wie still steht, unsere Köpfe nicht ebenfalls dicht machen. Das System zeigt in diesen Zeiten sein wahres Gesicht und tritt damit völlig verfrorenen ans Tageslicht. Ihnen geht es nicht darum, dass es „uns allen gut“ geht. Es geht um die Abwendung des ökonomischen Zusammenbruchs, um den Erhalt des Kapitalismus.
So wie sie uns gerade mit Verordnungen, Einschränkungen und Isolation überhäufen, gleichzeitig aber Tausende arbeiten müssen und das Kapital nur so fließt, um den ökonomisch Zusammenbruch zu verhindern, sollten wir, vor allem als radikale Linke, aus einer antikapitalistischen, antistaatlichen Perspektive antworten. So wie es ihnen um das Wohl des Kapitalismus geht und damit die Gesundheit vieler gefährden, sollte es uns um das Wohl der Gesundheit gehen. Wenn wir das ernst meinen, MÜSSEN wir den Kapitalismus gefährden.
Diese Antworten können vielseitig sein, vor allem sollten sie aber in diesen Zeiten diejenigen unterstützen, welche die Krise am meisten betrifft. Nachbarschaftliche Organisierung und Unterstützung der Risikogruppen bei der Bewältigung des Alltags sind ein Anfang. Aber auch die Tausenden Flüchtlinge, für welche Europa derzeitig noch weiter entfernt ist, als es ohnehin schon war, müssen mitgedacht werden. Gleiches gilt für Wohnungslose und Menschen, welche aufgrund der Krise und dem daraus resultierenden fehlenden Lohn wohnungslos und in ihrer Existenz bedroht werden. Und natürlich auch die Tausenden Arbeiter*innen, die ihre Gesundheit derzeitig für das Wohl des Kapitalismus riskieren. Weil es in Italien an den Arbeitsplätzen an Sicherheitsvorkehrungen fehlt, „zeigen Gewerkschaften und Arbeiter*innen Stärke und wühlen mit spontanen Streiks, die zu Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit auffordern, die Verhältnisse auf“. „»Wir sind nicht entbehrlich« – »Wir sind kein Kanonenfutter«. Das sind die Gesänge, die aus den italienischen Fabriken kommen.“. Die Herrschenden nennen es unverantwortlich, unsere Antwort darauf sollte die Solidarität mit allen streikenden Arbeiter*innen weltweit sein. Die Antwort auf Hamsterkäufe können massive Plünderungen und Verteilungen, an diejenigen, die es brauchen, sein. Die Antwort auf Grenzschließungen sollte eine Antinationale sein (vergesst in diesen Zeiten nicht die Situation der Tausenden Geflüchteten auf Lesbos!). Als Antwort auf eine zunehmende rassistische Stimmungsmache muss es eine linke Gegenöffentlichkeit und -handlungen geben. Antworten auf einen völlig überteuerten Wohnungsmarkt und den dadurch fehlenden Zugang zu Wohnraum können beispielsweise Besetzungen oder ein kollektiver Mietstreik sein. Anstatt eines kapitalistischen Gesundheitssystems, welches deswegen keines ist, weil niemals alle Zugang dazu haben werden, sollte es den Aufbau eines eigenen, nicht auf kapitalistischen Interessen basierenden Gesundheitssystem geben.
So oder so – einen Handlungsspielraum gibt es – wir müssen ihn nur nutzen und unsere Bewegungen zum Wohl der kollektiven Gesundheit gut überlegen.
„Die Krise nutzen“ – Gefangene in Italien machens vor
Es hört sich vielleicht zunächst egoistisch an, in Anbetracht der derzeitigen Verhältnisse ist es aber alles andere als das. Wenn uns wirklich daran gelegen ist, den Staat und Kapitalismus zu zerstören, sollte dieser Wille innerhalb der Krise zum Wohle aller mehr denn je zu Tage treten. Die Gefangenen in Italien, Portugal, Spanien und Brasilien haben offensichtlich begriffen, dass der Staat auf ihre physische und psychische Gesundheit vor allem in Coronazeiten spuckt. In Zeiten, in denen in der BRD (aktuell noch) dazu aufgerufen wird, sich eher draußen als in geschlossenen Räumen zu treffen, haben Gefangene keine Möglichkeit dazu. Missachtung von Abstandssicherungsvorkehrungen, gleichzeitige Isolation in den Zellen und Besuchsverbote gefährden nicht nur die physische und psychische Gesundheit der Gefangenen, sondern sind darauf ausgelegt, den Körper der Gefangenen gänzlich zu zerstören. Dass sich dass Gefangene weltweit nicht gefallen lassen, sollte ein Appell an uns alle hier (noch) draußen sein, ihre Kämpfe zu unterstützen und zusammen mit ihnen ebenfalls für die Freiheit zu kämpfen.
Für Informationen zu den Knastrevolten in Italien checkt diese Seite.
Informationen zu der Situation in deutschen Knästen findet ihr hier.
Checkt außerdem die Tiwtter Kanäle von Gefangenen aus Tegel, Moabit, Luckau-Duben, Kiel und Düppel/Heidering/Plötzensee. Auch der Gefangene Thomas Meyer- Falk hat schon zwei berichte zur aktuellen Situation verfasst (1 und 2). Checkt de.indymedia.org für weitere Berichte von Gefangenen!
Erste Proteste zeichnen sich ebenfalls, wie zum Beispiel in Darmstadt, ab:
„Community 4 All – Solidarische Gemeinschaften statt Abschiebegefängnis; Darmstadt, 15.3.2020
Gestern, Samstag, 14.3.2020, kam es im Darmstädter Abschiebegefängnis zu Protesten der Gefangenen. Nach dem nachmittäglichen Hofgang weigerten sich neun Inhaftierte zurück auf ihre Zellentrakte zu gehen. Unter anderem in Form eines Sitzstreiks und unter lautstarkem Protestieren forderten sie umgehend ihren Richter*innen vorgeführt zu werden sowie ihre umgehende Entlassung aus der Abschiebehaft. Grund dafür war, dass aufgrund des Corona-Virus die Abschiebeflüge der meisten Inhaftierten ausgesetzt wurden, wodurch die Abschiebehaft rechtswidrig und nichtig wurde. Nach etwa drei Stunden des Protests begab sich der zweite stellvertretende Leiter der Abschiebungshafteinrichtung Darmstadt, Herr Neßmann, zu den protestierenden Gefangenen. Laut uns vorliegender Aussagen von Inhaftierten sagte er zu, am Montag alle notwendigen Schritte zur Entlassung der Gefangenen in die Wege zu leiten. Nach dieser Zusage begaben sich die Inhaftierten wieder ins Innere der Haftanstalt. (…)“
Zurecht schreiben „Community 4 All“ weiter: „Gerade jetzt zeigt sich, wer Zugang zu medizinischer Versorgung und Aufklärung erhält, und wer, u.a. aufgrund rassistischer Abschottungs- und Abschiebepolitik Europas und seiner Nationalstaaten, hierzu keinen Zugang hat. In diesen Zeiten wird dies unvorstellbare, verheerende Folgen haben. (…) Gleiche Rechte für Alle! Zugang zu medizinischer Versorgung und dezentrale menschenwürdige Unterbringung für alle Geflüchteten! Grenzen auf sofort! Schluss jetztmit dem unnötigen, örderischen Abschiebe- und Abschottungsregime!“
Die Situation in den Knästen spitzt sich zu, Proteste sind vorrauszusehen. Wir werden, so gut es geht und soweit uns die Informationen von Gefangenen erreichen, von den Folgen der Corona- Pandemie, sei es in Form von Repression oder Protest, berichten und uns praktisch solidarisch zeigen. Gleichzeitig hoffen wir, dass andere, nicht explizite Anti-Knast Zusammenhänge die Krise erkennen, antikapitalistische und antistaatliche Positionen stärken und Gefangene sowie alle anderen Unterdrückten dieses Systems in diesen Zeiten besonders zur Seite stehen.
Die alt bekannte Parole „Knäste abschaffen, Freiheit für alle“ galt schon immer, in Corona Zeiten wird sie aber nocheinmal dringender, weil das Leben vieler Gefangenen sonst noch massiver gefährdet ist als sonst schon. Also: reißt die Mauern ein, von beiden Seiten!