15 Anwerbeversuche im Ruhrgebiet
Innerhalb von wenigen Tagen bekamen kürzlich zehn AntifaschistInnen aus diversen Ruhrgebietsstädten „Besuch“ von Damen und Herren, die sich als Mitarbeiter/innen des Innenministeriums NRW vorstellten und eine „Zusammenarbeit“ suchten…
Antifaschistische Gruppen aus NRW
http://www.antifa-nrw.de
Pressemitteilung vom 23. März 2003
Verfassungsschutz bespitzelt Antifa-Bewegung in NRW
15 Anwerbeversuche im Ruhrgebiet
Während die Verfassungsschutzbehörden noch dabei sind, ihren selbst produzierten Skandal im NPD-Verbotsverfahren zu verdauen, sich aber
die öffentliche Empörung über das Agieren der Geheimdienstler schon wieder etwas gelegt hat, bastelt das nordrhein-westfälische Landesamt
des VS bereits an den nächsten Abgründen.
Innerhalb von wenigen Tagen bekamen kürzlich zehn AntifaschistInnen aus diversen Ruhrgebietsstädten „Besuch“ von Damen und Herren, die sich als Mitarbeiter/innen des Innenministeriums NRW vorstellten und eine „Zusammenarbeit“ suchten, denen aber allesamt eine Kooperation verweigert wurde. Bei weiteren VS-Einsätzen wurden in Abwesenheit der „Zielpersonen“ Mitbewohner/innen, teilweise auch Eltern, angesprochen und befragt. Wiederum weitere endeten vor verschlossenen Türen von zu diesem Zeitpunkt nicht anwesenden Antifaschist/inn/en. Insgesamt sind uns bisher 15 „Besuche“ in dieser Angelegenheit bekannt geworden, eine höchst ungewöhnlich hohe Anzahl innerhalb eines sehr kurzen Zeitraumes. Das vordergründig bekundete Begehr des VS: Informationen zum Thema RechtsRock, also zu rechen Musik-Strukturen in NRW. Zweck der ungewöhnlich zahlreichen „Besuche“ dürften aber vielmehr Bemühungen der Berufsschnüffler/innen gewesen sein, Informant/inn/en innerhalb der Antifa in NRW zu gewinnen.
Offensichtlich ist dem Landesamt die Kampagne antifaschistischer Gruppen aus NRW „kein raum der nazi-musik! we will rock you – tour 2003“ (www.antifa-nrw.de/rero) ein Dorn im Auge. Innerhalb dieser Anfang Februar gestarteten Kampagne gegen die in NRW stark zunehmenden neonazistischen Aktivitäten im Kulturbereich (Konzerte etc.) werden über einen längeren Zeitraum hinweg Öffentlichkeit- und Informationsarbeit, Kulturveranstaltungen sowie demonstrative Aktionen gegen die boomende rechte Musik-Szene in diversen NRW-Städten und -Regionen durchgeführt. Die erste Phase der Kampagne – insbesondere (aber nicht ausschliesslich) die Aktivitäten gegen die Dortmunder RechtsRock-Band „Oidoxie“ – kann als sehr erfolgreich bezeichnet werden. Weitere Interventionen werden folgen.
Genau diese erfolgreichen Interventionen scheinen nicht nur einzelne örtliche Abteilungen der Polizeilichen Staatschutzes zu stören, zumindest aber zu irritieren, sondern jetzt sogar zur „Chef-„Sache auf der Ebene des Landesinnenministeriums erklärt worden zu sein. Vertreter der Polizei und des Innenministeriums haben bereits mehrfach in Zusammenhang mit neonazistischen Aktivitäten, beispielsweise anläßlich der vielen Neonazi-Demonstrationen in NRW, darauf verwiesen, daß nicht etwa Neonazis das „eigentliche Problem für Sicherheit und Ordnung“ darstellen würden, sondern antifaschistische Gegenaktivitäten. Folgerichtig liegt die Zahl der Fest- und Ingewahrsamnahmen während antifaschistischer Proteste in den letzten vier Jahren in NRW bei mehreren tausend Personen, darunter auch viele Jugendliche, ja sogar Kinder. Von den vielen Strafprozessen und Verurteilungen einmal ganz zu schweigen.
Und auch bei der gravierend zunehmenden Anzahl von Neonazi-Konzerten in NRW (alleine 17 im Jahre 2002, vgl. LOTTA, Nr. 11, Winter 2002/2003, S. 15) ist es vielerorts kein Deut anders: Nicht das Stattfinden neonazistischer Großkonzertveranstaltungen treibt staatliche Stellen zu eifriger Betriebsamkeit, sondern potentieller oder realer antifaschistischer Protest, der für ein Großaufgebot der Polizei und amtsübergreifende Durchführung eines „reibungslosen Ablaufes“ sorgt. „Ordnung“ wird eben auch in NRW gross geschrieben …
Um Informationsgewinnung über die Neonazi-Szene geht es dem Innenministerium bei seinen „Besuchen“ mit Sicherheit nicht, schließlich verfügt eine personell und technisch hervorragend ausgestattete Landesbehörde wie der VS NRW über unvergleichbar mehr Kapazitäten und Möglichkeiten, sich ein Bild von der Neonazi-Szene zu machen, als sie unabhängige Antifa-Gruppen ohne jedwede finanzielle Unterstützung jemals haben werden. Zudem stehen auch dem VS die diversen öffentlich zugänglichen antifaschistischen Publikationen(1) zur Verfügung, um sich ein Bild über die Lage zu machen. Dass diese Schriften seitens des VS sehr wohl zu Rate gezogen werden, zeigen die alljährlichen Publikationen der Behörden, in denen nicht selten sogar die eine oder andere „Erkenntnis“ wörtlich abgeschrieben wurde.
Es geht dem Innenministerium also wohl eher um ein Durchleuchten antifaschistischer Strukturen. Eigenverantwortliches Agieren von AntifaschistInnen, die staatlichen Verlautbarungen und Lageeinschätzungen kritisch gegenüberstehen, sich lieber selbst einen Eindruck verschaffen und auf dieser Grundlage eigene politische Aktivitäten entfalten, gerät damit in das Fadenkreuz der staatlichen Berufsschnüffler/innen und wird letztendlich staatlicher Repressionspolitik ausgesetzt. Wer weiss, eventuell geht es dem VS ja auch einmal mehr darum, einen ihrer V-Männer oder -Frauen zu schützen, dieses mal vielleicht in den nordrhein-westfälischen RechtsRock-Strukturen. Grossartig verwundern würde es gewiß niemanden, wenn sich diese Spekulation als Realität heraus stellen sollte. Schliesslich kann gerade bei der Beantwortung der Frage, ob sich auch in Deutschland ein militanter Arm der neonazistischen Terrororganisation „Combat 18“ (C 18) herausbildet, ein nicht unerhebliches staatliches Interesse unterstellt werden. Und sowohl „Oidoxie“, als auch die in teilweiser Personalunion betriebene Sauerländer Band „Weisse Wölfe“ sowie die Formation „Weaponed Hate“ stehen C18 sehr nahe, wenn sie nicht gar als Teil von C18 und damit als deren nordrhein-westfälischer kulturpolitischer Arm bezeichnet werden können.
Wir werten den großangelegten Durchleuchtungs- und Anwerbeversuch des VS NRW auch als massiven Einschüchterungsversuch gegenüber antifaschistischen Strukturen!
Wir als unabhängige antifaschistische Gruppen aus NRW teilen hiermit in aller Deutlichkeit öffentlich mit:
– Für uns wird es auch weiterhin KEINERLEI Zusammenarbeit mit den Damen und Herren Schlapphüten geben! Eine Zusammenarbeit mit denjenigen, deren (Informations)politik in Sachen extreme Rechte gegenüber der Öffentlichkeit von Verschleierung und Bagatellisierung geprägt ist (es wird zudem nur das veröffentlicht, was ohnehin schon bekannt ist), die sogar durch ihre V-Mann-Praxis Neonazi-Strukturen stärken, ist für uns ausgeschlossen. Und den genannten Gründen für eine völlige Unvereinbarkeit könnten reihenweise weitere hinzugefügt werden. Für die Verfassungsschutzbehörden sind AntifaschistInnen und „Rechtsextremisten“ ohnehin nur zwei Seiten ein und der selben „Extremismus“-Medaille, also im Prinzip ein und das selbe.
– Wir fordern alle vom VS „angesprochenen“ Personen auf, jedwedes „Gespräch“ konsequent zu verweigern und derartige Kontaktaufnahmen sofort öffentlich zu machen!
– Wir werden auch weiterhin nicht davon ablassen, uns gegen die erstarkende extreme Rechte zur Wehr zu setzen und rufen dazu auf, sich vermehrt an Aktionen der Kampagne „we will rock you“ zu beteiligen! Kein Raum der Nazi-Musik!
Verfassungsschutz auflösen!
Nazistrukturen zerschlagen!
Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an eine der unter
www.antifa-nrw.de im Adressverzeichnis aufgeführten Gruppen.
23.3.2003
antifaschistische Gruppen aus NRW
Fussnote:
(1) Zum Beispiel LOTTA – antifaschistische Zeitschrift aus NRW (www.free.de/lotta), Antifaschistisches Infoblatt (www.nadir.org/nadir/periodika/aib), Der Rechte Rand (www.der-rechte-rand.de)
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