16. April 2005 Befreiung von Wuppertal
von Autonome AntifaschistInnen aus Wuppertal – 17.04.2005 21:15
16. April Befreiung in Wuppertal
Bericht von antifaschistischen Gedenk- und Stadtrundgang
„Wir wurden am 16. April in der Fabrik erobert, wie wir uns über die Befreiung gefreut haben, das können Sie sich nicht vorstellen. Alle Franzosen, Italiener, Ukrainer, Russen, alle küssten sich, umarmten sich, weil wir frei waren. Dann brachten uns die Amerikaner in allgemeine Kasernen, sie begannen uns aufzupäppeln, sie verteilten uns auf Dörfer, um uns leichter abzufüttern, dann schickten sie uns in die Heimat.“
Ca. 100 Menschen folgten dem Aufruf, an diesem historischen Tag eine Gedenkveranstaltung für Wuppertal durchzuführen. Am 16. April 1945 befreiten Soldaten der 78. und 8. Infantry-Division der US-Army Wuppertal. Kurz nach der Befreiung strömten Sowjetische Kriegs-gefangene und ZwangsarbeiterInnen aller Nationen aus den Fabriken und Lagern in die Innenstädte, feierten ihre Befreiung und eigneten sich in den Kaufhäusern und Lebensmittel-geschäften Waren an. Höhepunkt der Feiern war sicherlich die Besetzung des Wuppertaler Polizeipräsidiums durch die ZwangsarbeiterInnen. Spontan besetzten sie die Büros der Gestapo und warfen Akten aus den Fenstern.
Das offizielle Wuppertal hat sich für den Wuppertaler liberation-Day leider nicht interessiert.
Start war am Döppersberg mit einem Umsonst-Frühstück und einem Sekt-Empfang auf der „Platte“ am Döppersberg. Nach einleitenden Worten sprach der 79 jährige amerikanische Soldat Dudley
Strassburg zu uns. Mit seinem beeindruckenden Beitrag wurde die Hoffnung der überlebenden KZ-Häftlinge im Buchenwald-Schwur „Nie wieder Faschismus – nie
wieder Krieg. Für den Aufbau einer neuen Welt“, sehr lebendig. Strassburg, Soldat der 94th Infantry Division, U.S. 3rd Army, kämpfte in der Kompanie, die im Februar 1945 als erste Einheit unter schrecklichen Verlusten die sogen. „Siegfried-Linie“ an der Saar überschreiten konnte. Seine Einheit befreite schließlich Solingen und sorgte für den Rücktransport der ZwangsarbeiterInnen in die Heimat. Mit Hilfe des kommunistischen Widerstandskämpfers Karl Bennert fand Strassburg das Massengrab der 71 Gefangenen in der Wenzelnbergschlucht. Diese Menschen, soziale und politische Gefangene aus dem Zuchthaus Lüttringhausen und russische
Zwangsarbeiter wurden drei Tage vor der Befreiung von der Wuppertaler
Gestapo und Ordnungspolizei per Genickschuss ermordet. Strassburg sorgte dafür, dass Solinger Nazis unter vorgehaltener MP die Exhumierung der ermordeten Gefangenen vornahmen. Strassburg sprach sehr bewegend von der Notwendigkeit der militärischen Zerschlagung von Nazideutschland und gleichzeitig in der tiefen Überzeugung
und – wie er selber sagte- mit der naiven Hoffnung, dass nach dem Zweiten Weltkrieg angesichts des schrecklichen Leidens, der Zerstörung und der 55 Millionen Toten, Kriege nicht mehr geführt werden.
Und er erinnerte daran, dass seit dem Zweiten Weltkrieg über 230 Kriege
stattgefunden haben und dass zum jetzigen Zeitpunkt 20 bewaffnete
Auseinandersetzungen laufen.
http://de.indymedia.org/2005/04/112076.shtml
Die weiteren eingeladenen Zeitzeugen, der narchosyndikalistische
Widerstandskämpfer Hans Schmitz und Marianne Hecht-Wieber, Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der AntifaschistInnen, die Tochter des
Widerstandskämpfers Emil Löhde, mussten leider aus Gesundheits-gründen absagen.
Besonders schmerzlich war für uns das Fehlen von Paul Michalowicz, unserem Genossen und Freund aus Hagen. Er starb im Alter von 79 Jahre am 7.April 2005. Paul wird uns sehr fehlen.
http://de.indymedia.org/2005/04/111308.shtml
2. Die zweite Station war das Wuppertaler Polizeipräsidium. Das
Polizeipräsidium war für viele ZwangsarbeiterInnen und politische Gegner des Nationalsozialismus ein Ort des Schreckens. Im Polizei-präsidium wurden zahllose Menschen festgehalten, gedemütigt, gefoltert und totgeschlagen. Aus dem Polizeipräsidium wurden noch kurz vor Kriegsende ZwangsarbeiterInnen und politische Gefangene zu den Hinrichtungsorten der Wuppertaler Gestapo geführt.
Auf den Stufen des Polizeipräsidiums haben wir den ermordeten WiderstandskämpferInnen und ZwangsarbeiterInnen gedacht und an die Verantwortung der Wuppertaler Gestapo für die Deportation der Wuppertaler Juden, für Folter und Hinrichtungen erinnert. Für die Wuppertaler NS-Opfer haben wir Blumen niedergelegt. Wir konnten anschließend die Zeitzeugin, die
90 jährige Edith Enz begrüßen, die wegen „Wehrkraftzersetzung“ zum Tode verurteilt und auf ihrer Hinrichtung im Polizeigefängnis wartete. Edith Enz wurde durch die amerikanischen Truppen befreit. Edith Enz war Zeugin für die Folterungen im Polizeipräsidium und hat die Ende Februar 1945 im Burgholz ermordeten sowjetischen ZwangsarbeiterInnen beim Abtransport zur Hinrichtung
zum letzten Mal gesehen. In einem weiteren Beitrag ging es um das
Wuppertaler Polizei-Bataillon, dass in Bialostok die jüdische Menschen in
eine Synagoge einsperrte und die Synagoge in Brand setzte. Die Mörder kamen nach dem Krieg zurück und kehrten zum Teil in den Wuppertaler Polizeidienst zurück, machten Karriere im Polizeiapparat und bildeten Bereitschaftsbullen aus usw.
3. Kundgebung beim NPD-Nazi Sascha Guderian. Er wagt es, zur Landtagswahl für die NPD zu kandidieren und hat auch schon mal ein Nazi-„Aufmärschchen“
in Wuppertal angemeldet. Der Nazi hat dem Wahlamt als Adresse
Freiheitstrasse 36 angegeben. Leider war zu unserem Besuch auch schon die
Polizeihundertschaft eingetroffen, die wegen aktiver Anti-Nazi Vermummung
Stress machten, sodass es nur zur Flugblattverteilung und Rede-beiträgen kam.
4. Inoffizielle Einweihung der Gedenkstätte „Wuppertaler Widerstand“ im ehemaligen Polizeigefängnis Bachstraße in Barmen.
Im jetzt leer stehenden Gebäude waren in der Nazizeit politische Gefangene und ZwangsarbeiterInnen eingesperrt. In der Bachstraße wurde geschlagen, gefoltert und gestorben. Im März 1945 starb hier Hedwig Igstaedter unter ungeklärten Umständen. Sie war Ehefrau des Widerstandskämpfers Karl Igstaedt
er, der zusammen mit sowjetischen ZwangsarbeiterInnen eine Widerstands-gruppe in Wuppertal-Wichlinghausen aufgebaut hatte. Die Gruppe, die sich im Zwangsarbeiterlager
„Schützengilde“ und in der Wohnung der Igstaedters traf, gab einen eigenen Infodienst heraus und organisierte bewaffnete Überfälle
auf Güterzüge, um illegal lebende Kameraden zu unterstützen. Bei einem
versuchten Überfall auf den Bahnhof Wichlinghausen wurden bei einer
Schiesserei Bahnbeamte und Zwangsarbeiter getötet. Bei anschließenden Razzien gelang es der Gestapo zahlreiche Zwangs-arbeiterInnen festzunehmen.
(Diese Festgenommenen wurden Ende Februar 1945 auf dem Polizeischiessstand im Burgholz ermordet.) In diesem Zusammenhang wurde auch die Verbindung zu
Karl Igstaedter der Gestapo bekannt. Einer drohenden Verhaftung entzog sich Karl Igstaedter durch Selbstmord. Er wurde im Durchgangsweg zum Güterbahnhof erhängt aufgefunden. Hedwig Igstaedter wurde daraufhin festgenommen, in die Bachstraße verschleppt und einige Tage später tot in der Zelle gefunden.
Wir haben deswegen diese Gedenktafel am Gebäude angebracht und Blumen niedergelegt.
In Erinnerung an die Widerstandskämpfer
Hedwig und Karl Igstaedter
Karl und Hedwig Igstaedter organisierten zusammen mit sowjetischen ZwangsarbeiterInnen den Überlebenskampf gegen die Faschisten in Wichlinghausen.
Karl wurde erhängt an der Schwarzbach aufgefunden,
Hedwig starb im Polizeigefängnis Bachstrasse.
Von der Gestapo gejagt
im März 1945 in den Tod getrieben
Nichts und niemand ist Vergessen!
Erinnerungsstätte Wuppertaler Widerstand – 60 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus
Wir fordern von der Stadt, dieses Gebäude nicht abzureißen, sondern in eine würdige Gedenkstätte für NS-Opfer und Widerstandsgruppen umzuwandeln. In Inneren des Gebäudes sind die Zellen des alten Gefängnisses noch gut zuerkennen. Wenn das kein Fall für die Untere Denkmalschutzbehörde ist, die
wir umgehend benachrichtigen werden…
5. Ganz ohne Polizei gelang uns der Abschluss dieses Stadtrundganges.
Schlusspunkt war der kollektive Besuch der einzigen öffentlich ausgestellten
Skulptur des Nazi-Bildhauers Arno Brekers. Die Statue von Breker, von der
Bevölkerung auch Brekers Kriegsgöttin genannt, steht (wieder) als
Wahrzeichen des Wilhelm Dörpfeld Gymnasiums vor der Schule. Zu Beginn des Irak-Kriegs war sie noch vom Sockel gefallen.
www.az-wuppertal.de/aktuelles/aktuelles-lang.php?id=17
Nach kontroverser Debatte in der Schule entschied die Schulkonferenz
mehrheitlich, die Skulptur von Hitlers Lieblingsbildhauers wiederauf-zustellen. Man distanziere sich zwar von Brekers politischer Nähe zum Nationalsozialismus, dürfe aber keinesfalls „Bilderstürmern“ nach-geben. Frecherweise wurde dieser Beschluss kurz vor dem Befreiungstag von Wuppertal klammheimlich und unter strengster Geheimhaltung umgesetzt. Die Kriegsgöttin
steht seit einigen Tagen wieder auf dem Sockel.
www.wz-newsline.de/seschat4/200/sro.php?redid=80098
Aus diesem Grunde sahen wir uns gezwungen, Brekers Kriegsgöttin ganz nach der Christo -Methode mit einem Tuch zu verhüllen (Siehe die Fotos). Statt dieser „feingliedrigen Skulptur“ des Nazibildhauers, der sich bekanntlich auch nach der Befreiung vom Faschismus in Nazikreisen bewegte und dessen späte
„Kunstwerke“ auch Verwendung und begeisterte Aufnahme in
militaristischen Nazigedenkstätten wie auf dem Ulrichsberg in Kärnten
fanden, haben wir an den Sockel eine Gedenktafel angebracht, die auf das
Schicksal der jüdischen Mitschüler hinweist.
Wir erinnern an die jüdischen Mitschüler des WDG
Ausgegrenzt und vertrieben von den Nazis,
Nichts und niemand ist Vergessen ?
Rudolf Ballheimer , geb. 27.9.1923, bis Oktober 1938 WDG, 1938 Flucht nach England
Stefan K.E. Bauer-Mengelberg, bis Nov. 1938 WDG, 1939 Emigration in die USA
Arnold Ostwald, geb. 30.11.1923, musste im Nov. 1938 das WDG verlassen, 1939
Jugendtransport nach England, Emigration 1940 USA
Wuppertal – 60 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus.
Leider ist dieser Schule bei der Beschäftigung mit der eigenen Geschichte im 425 jährigen Jubiläumsjahr die Nazizeit entgangen. In der voluminösen
Festschrift wird zwar das Schicksal von Brekers Kriegsgöttin beklagt, zum
Schicksal der jüdischen SchülerInnen findet sich, bis auf die Bemerkung, das
sie diskriminiert wurden und ausgewandert sind, nichts. Das kann jetzt nachgeholt werden. Die Auslandsauskunft kann sicherlich die nötigen Telefonnummern zur Kontaktaufnahme mit den jüdischen WDGlern ermöglichen.
Wir freuen uns schon auf ein öffentliches Besuchsprogramm des WDG im 426 Jahr.
Nichts und Niemand ist vergessen!
Autonome AntifaschistInnen aus Wuppertal 16.April 2005 zum 60. Jahrestag der Befreiung
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