Kategorien
Antikapitalismus & Globalisierung

Das emanzipatorische Signal von Heiligendamm

Zum Abschluss der Samstagsdemonstration in Rostock wurden die hochgerüsteten Staatsbüttel militant
zurückgewiesen. Das war weder unvorhersehbar, noch eine Entgleisung erlebnishungriger Eventhooligans,
noch gar die Aktion einer Provokateurseinheit der Polizei. Nein, der „Schwarze Block“ war
einfach genügend groß und hinreichend gut organisiert, um selbst agieren zu können. Sein Widerstand
gegen die Polizeiattacken war eine unmissverständliche und weit sichtbare Absage gegen den erstikkenden
Ordnungs-Pluralismus gemäß dem staatlichen Motto „hier unser Gipfel – dort Eure Proteste
dagegen – wir ermöglichen beides, störungsfrei“. Nein – wir sind gekommen, um Eure scheinheilige
Ordnung zu zerstören! Wir verweigern uns Eurer Politik, Eurer Selbstinszenierung von Regierungsmacht
und (punktuell erfolgreich) Eurer Schutzmacht! Ein Greenpeace-Boot in der militärisch gesicherten
Verbotszone vermittelte symbolisch eine gleichlautende Botschaft: Ihr könnt unseren Widerstand
nicht (weg-)kontrollieren.
Wagen wir einen Rückblick: In
Seattle blockierten Ende 1999 Zehntausende
eine Tagung der Welthandelsorganisation
WTO und sorgten
mit dafür, dass die Verhandlungen
abgebrochen wurden. Und wer
bezieht sich nicht heute alles positiv
auf diese riots, mit denen AktivistInnen
ihr Nein zur Politik der globalen
Funktionseliten mit einer Vehemenz
und Klarheit auf die Straße getragen
hatten, die viele Bewegungsteile aufgerüttelt
und ermutigt hat. Es ist
verlogen, die heftigen Auseinandersetzungen
von Seattle als Aufbruchssignal
zu bewerten und
gleichzeitig moralisch dämonisierend
Kritik am Rostocker Aufbegehren
zu üben. Die strategische Diskussion
um die ‚Wahl‘ der
Örtlichkeit und der einzelnen
Angriffsziele ist selbstverständlich
ebenso gerechtfertigt wie die um die
Unsinnigkeit von Steinwürfen aus
der 47. Reihe. Aber bitte tappen wir
nicht in die Falle, jegliche Form militanten
Widerstands blind zu verteufeln,
wenn wir ihn als Linke in
Deutschland gegenüber BündnispartnerInnen
und der polarisierenden
Öffentlichkeit rechtfertigen
müssen.
Nahezu unisono hören wir, die
Ausschreitungen von Rostock seien
eine Steilvorlage für die weitere
Umsetzung des Kontrollwahns von
Herrn Schäuble gewesen. Geht der
Einsatz von Spähpanzern im Inneren
zur Überwachung von Gen-Versuchsfeldern
während der Gipfelproteste
etwa ebenfalls auf das
Konto militanter Aktionsformen bei
so genannten Feldbefreiungen, bei
denen nächtlich oder ganz offen
angekündigt die gentechnisch veränderten
Pflanzen auf diesen Feldern
zerstört werden? Mündet eine solche
Argumentation nicht eher in selbst
verordneter Bewegungsstarre? Denn
nur diese Starre liefert der herrschenden
Klasse vermeintlich keine
Vorwände für eine weitere Beschneidung
unserer Bewegungsfreiheit.
Diesbezüglich haben die AktivistInnen
der Blockadeaktionen von
Mittwoch und Donnerstag weit
besonnener reagiert als ihre „OrganisatorInnen“.
Sie hatten sich wegen
der „nun vollständig anderen Vorzeichen“
kurzfristig aus dem Blockadekonzept
verabschieden wollen
oder durch selbst auferlegte Reinheitsgebote
den militanten Widerstand
aussortieren wollen. Aber die
meisten G8-GegnerInnen, auch von
ATTAC und Block-G8, haben sich
einen Scheißdreck um ihre medialen
VorturnerInnen gekümmert und
sind sehr gut organisiert über Feld
und Wiese zur Straßenblockade
gezogen – vollkommen unbeeindruckt
vom Rote-Zonen-Verbot der
Polizei und dem herbeigeredeten
Bündnisverbot ihrer FührungsstrategInnen.
Das ist das eigentlich
emanzipatorische Signal von Heiligendamm!
So waren es mehr als 10.000 Menschen,
die zwei Tage und Nächte
lang phantasievoll die Gipfelinfrastruktur
um Heiligendamm immer
wieder blockiert haben. Stehend und
sitzend machten Tausende die
Zufahrtsstraßen vor den Toren des
Hochsicherheitszauns dicht. An
einigen Stellen waren Wasserwerfer
der Polizei auf den Straßen postiert.
Dies führte zwar ebenfalls zu dem
gewünschten Effekt einer nicht
befahrbaren Straße, sorgte aber
durch den exzessiven Einsatz dieser
Wasserwerfer für viele Verletzte.
Ein Autokonvoi sperrte kurzfristig
die Verbindungsautobahn vom Flughafen
Rostock-Laage ins Gipfelgebiet.
Die zentrale Bundesstraße von
Rostock nach Heiligendamm blieb
lange durch Barrikaden und technisch
schwer zu lösende BlockiererInnen
versperrt. Eine brennende
Wand geschichteter Autoreifen sorgte
auf einer Zufahrtsstraße im
Westen für „kein Durchkommen“.
Die Passage der GipfelteilnehmerInnen
war nicht mehr gesichert möglich.
Nicht wenige Limousinen des
Gipfelfahrdienstes blieben im
Getümmel von GipfelgegnerInnen
auf Wanderschaft stecken. Einige
ließen dabei Federn: In der Nähe des
mittlerweile bundesweit bekannten
Dörfchens Hinterbollhagen umtanzten
BlockiererInnen ein solches
Delegationsfahrzeug, verteilten das
Reisegepäck vom Kofferraum auf
die Felder und öffneten die Heckscheibe,
um ihre Botschaft auch
drinnen hörbar werden zu lassen.
An anderer Stelle musste eine
Kolonne von Abschleppfahrzeugen
gleich eine ganze Reihe zurück gelassener
Polizeifahrzeuge vom Waldesrand
wegziehen. Die Polizeieinheit
hatte es beim Wald- und Wiesenspektakel
offenbar allzu eilig gehabt
und war bei der Absicherung ihrer
Fahrzeuge etwas nachlässig. Die Reifen
der zurückgelassenen Fahrzeuge
waren platt.
Die Konsequenz dieser stellenweise
sehr unübersichtlichen Lage für
Polizei und GipfelorganisatorInnen:
Ein Ersatzfährdienst zu Wasser von
Kühlungsborn nach Heiligendamm
musste eingerichtet werden.
Was bleibt? Gewarnt werden muss
vor der Gefahr einer blinden Übernahme
falscher und polarisierender
Zuordnungen innerhalb der Linken:
Dort die Militanz von vermeintlichen
„Streetfightern“ als Ausdruck
wenig gerichteter Wut und hier das
kreative Potenzial einer bunten
Widerstandskultur, getragen durch
konstruktiv Gesellschaft gestaltende
Ideen. Dem konnten wir vielfach die
kluge Interaktion verschiedener
Widerstandsformen entgegenstellen.
Und diese lässt sich gerade nicht stereotyp
in Schubladen einsortieren,
die uns unsere Gegenseite vorgibt.
Das Kölner Anti-G8 Bündnis formulierte
in einer ersten Bewertung
treffend, dass mensch lieber gemeinsam
den schwarz-rot-goldenen
Block und dessen alltägliche Gewaltförmigkeit
angreifen solle – in the
spirit of Rostock and Heiligendamm.