„Das Städtische definiert sich als der Ort, wo die Menschen sich gegenseitig auf die Füße treten, sich vor und inmitten einer Anhäufung von Objekten befinden, wo sie sich kreuzen und wieder kreuzen, bis sie den Faden der eigenen Tätigkeit verloren haben, Situationen derart miteinander verwirren, dass unvorhergesehene Situationen entstehen.“ (Henri Lefebvre)
Das Hamburger Netzwerk „Recht auf Stadt“ lädt ein zur kollektiven Verwirrung, Begegnung, und Zerstreuung. Über verschiedene Orte der Stadt verteilt, findet vom 2. bis 5. Juni 2011 jede Menge Geplantes & Ungeplantes statt. Seid dabei und:
* bildet Situationen & Banden * streift durch die Stadt & diskutiert durch die Nacht * feiert auf dem Asphalt & analysiert den städtischen Abgrund * zerlegt die eigene Praxis & rettet das utopische Potential * kommt zum Recht-auf-Stadt-Kongress und bringt Eure Nachbarinnen und Nachbarn mit.
Thesen zum Kongress
Kernschmelze in Imagecity: Die Krise der neoliberalen Stadt
Beginnen wir mit dem Unerfreulichen. Und davon gibt es mehr als genug: Das aktuelle Stadtentwicklungsmodell verschärft soziale Spaltungen und Segregationen, organisiert Räume des Ausschlusses, Doorman-Häuser, Kreativquartiere, Business Improvement Districts, Residenzpflicht, Freihandelszonen, soziale Brennpunkte, verstrahltes Ödland. Schauen wir von der Metaebene ausgehend auf die Stadt und analysieren die Zusammenhänge zwischen Globalem & Regionalem, Inner- & Außerstädtischem und sezieren die ideologischen Schichten der neoliberalen Stadt.
Feindliche Umarmung: Partizipation & Vereinnahmung
Die zunehmenden Proteste gegen neoliberale Raumpolitik beantworten die Herrschenden mit einem ausgeklügelten Instrumentarium: Kooperationsangebote im von oben bestimmten Rahmen hier, Repressalien dort. Multikulturelle Symbolik in der Imagebroschüre, Kontrolle von Migrant_innen in der S-Bahn. Mitmach-Kunst in Wilhelmsburg, Blockade von Bürgerentscheiden auf Stadtebene. Der Widerstand selbst wird entpolitisiert, kulturalisiert, personalisiert und entschärft. Wie parieren wir den partizipatorischen Kuschelangriff? Gibt es Wege aus der Vereinnahmungsfalle?
PPP – Pop, Produktion, Prekarisierung
Mit dem Ende des Industriezeitalters gewinnen Städte wieder an Bedeutung als Orte der Produktion – diesmal von Bedeutungen, Images, Netzwerken, Haltungen, Subkulturen, die den Kern der neuen kapitalistischen Wertschöpfung bilden. Der „Subjektive Faktor“, einst feministisch geprägter Einwand gegen die funktionale Zurichtung von Leben und Politik in der Fabrikgesellschaft, dient als kreative Ressource des prekarisierten „unternehmerischen Selbst“. Letzteres ist auf gut vernetzte, offene Viertel angewiesen – die Gentrifizierungsgebiete, denen die Absturzzonen am Rande der Stadt gegenüber stehen – und mehr noch, auf eine ausbeuterische Warenproduktion in den Maquiladoras des globalen Südens. Denn deren Schwerstarbeit, die erst die Dinge fürs Leben zu Schleuderpreisen schafft, ist das dunkle Geheimnis der „kreativen Klasse“. Welche neuen Allianzen bieten Möglichkeiten für Widerstand in der vollintegrierten Stadtfabrik? Wie sieht eine selbstbestimmte städtische Ökonomie aus, die sich nicht zum Komplizen der globalen Ausbeutung macht? Am Horizont leuchtet ein altes Versprechen wieder auf: die Aneignung der Produktionsmittel.
Tools, Tricks, Tänze: Vive la Difference!
Städte sind verdichtete Unterschiedlichkeiten. Klingt banal, stellt aber einen erheblichen Bruch mit politischen Vorstellungen dar, die auf Homogenität, fixierte Identitäten, saubere Abgrenzung oder die Einheitspartei setzen. Dem gentrifizierungskritischen Diskurs wird häufig eine latente Fremdenfeindlichkeit unterstellt. Die Forderung nach einem Recht auf Stadt bedeutet demgegenüber: das Recht auf Differenz, auf Abweichung von Verhaltens- oder Gender-Normen, das Recht auf freie Migration. Doch wie könnte eine emanzipatorische Praxis aussehen, die diese Unterschiedlichkeiten anerkennt, die verdrängte Stimmen hörbar macht – statt sie zu nivellieren? Wir beobachten, dass sich an den jüngst erkämpften Orten die Plattformen des Austauschs multiplizieren, andere Sprechweisen entstehen. Uns interessieren Praktiken, Tools, Tricks, Räume kollektiver Selbstorganisation, die über die standardisierten Formen des „Plenums“ oder der „Demonstration“ hinaus gehen. Wie lasst ihr unterschiedliche Sprachen und Formen des Wissens sich „gegenseitig schlauer machen“?
Access All Areas! Kämpfe um das Recht auf Stadt
Noch vor kurzem schienen die Widerstände auf dem glitschigen Terrain des Postfordismus keinen Halt mehr zu finden. Doch plötzlich flackern verräumlichte soziale Auseinandersetzungen auf und beginnen sich zu vernetzen. Zeigen sich die Umrisse einer neuen sozialen Bewegung?
Wenn soziale Fragen als Raumfragen gestellt werden, eröffnen sich neue Möglichkeiten gemeinsamen Handelns: besetzte Freiräume verknüpfen sich mit dem Widerstand gegen Großprojekte, gegen Gentrifizierung, gegen die Privatisierung öffentlicher Dienste. Kunstkollektive und Unternehmen auf Raumsuche werden Kompliz_innen unzufriedener Mieter_innen.
Vernetzen wir die Aneignung von Räumen und Ressourcen mit der Verteidigung irregulärer Viertel gegen Abrißpolitik! Verzahnen wir Initiativen von Wohnungslosen mit dem Widerstand gegen Zwangsräumungen! Verstärken wir Mieter_inneninitiativen mit Leerstandskampagnen! Verdrahten wir die Gegner_innen der Umweltzerstörung mit den Kämpfen von Einwanderer_innen fürs Bleiberecht! Erweitern wir den Handlungsraum des zivilen Ungehorsams durch kunstvolle und militante, listige und symbolische, virtuelle und direkte Aktionen!
Utopischer Überschuss – Eine Stadt für alle
Unsere Lieblingsrubrik am Ende: die Utopie! „Es gibt kein Denken ohne U-topie, ohne Erforschung des Möglichen, des Anderswo“, schreibt Henri Lefebvre. Und weil das so ist und Unmöglich-Mögliches bereits an einigen Orten durchschimmert, wollen wir uns in dieser Rubrik dem Erfreulichen widmen: Welche Gegenstrategien und Alternativen gibt es? Wie kann sich ein Recht auf Stadt genommen werden? Lassen sich verräumlichte Kämpfe auch zwischen Städten, über Kontinente, zu einem wirkungsvollen Rhizom verbinden? Wie könnten transnationale Räume aussehen, die nicht-hierarchisch und basisorganisiert funktionieren? Wie können städtische Ressourcen und Gemeingüter gerecht verteilt und auch für nächste Generationen gesichert werden? Oder – um mit Park Fiction zu fragen: Was passiert, wenn die Wünsche die Wohnung verlassen und auf die Straße gehen…?
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